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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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186„[…] Wendelin war nicht der Genosse ihres sonderbaren, inbrünstigen geistigen Pfades, zudem sie ihn geschaffen hatte, er war eben der Mann gewesen, auf den ihr Blut einst seineerste heiße Antwort gegeben hatte […]. In diesem Augenblick bejahte sie jene ferne, süße,dumpfe Antwort ihres Blutes, der sie so lange die Treue gehalten hatte – die letzten Jahrefreilich in einer Art von Gewöhnung, dankbar für diesen Inhalt eines Gefühls, dem sie keineMacht über ihr eigentliches Leben einzuräumen brauchte.“ (C. S. 153)Man könnte die Feststellung riskieren, dass Mathildes Treue ein Schutzschild gegenPatriarchat ist: die Bindung an einen <strong>im</strong>aginären Geliebten garantiert ihr den Schutz voranderen Männern und räumt ihr paradoxerweise einen gewissen Bewegungsfreiraum ein.Das Gelöbnis ermöglicht ihr, den an sie als Frau gestellten gesellschaftlichen Forderungenzu entgehen und die Unabhängigkeit, das „eigentliche“ Leben, zu genießen.Dass das Gefühl zu Wendelin keinen geistigen, sondern vielmehr einenkörperlichen Charakter hatte, geht ebenfalls aus dem oben angeführten Zitat hervor: es war„die Antwort ihres Blutes, der sie so lange die Treue gehalten hatte“. Mathilde distanziertsich jedoch von der körperlichen Anhänglichkeit an den Mann, weil sie das Erliegen dereigenen Sinnlichkeit als eine Schwäche sieht, durch welche die Frau in einAbhängigkeitsverhältnis von dem Mann gerät:„Aber eben dies war es, daß sie plötzlich und in ungeahntem Maße ihr Verhältnis zu einemMenschen vom Gefühl bedingt sah, von dem Gefühl einer blinden, schwachen, weinenden,ja einer rein körperlichen Abhängigkeit! Denn sie wollte dies nicht, wollte sich nicht hilflossehen vor der blonden strahlenden Männlichkeit dieses Fremden.“ (C. S. 150)Die Abwesenheit Wendelins garantiert, dass Mathilde dieses Abhängigkeitsverhältnis nichteingeht, ihr eigener Körper hält sie nicht an den Mann gefangen. Im Lauf der Jahre wirdMathildes Treue zur „Gewöhnung“, dank welcher die Frau ihre Sinnlichkeit in Schrankenhalten kann. In diesem Sinne ist sie dem Mann überlegen, weil sie <strong>im</strong> Geiste stärker als erist: während Mathilde ihrer Sexualität entsagte und sich an das Versprechen der Treuehielt, zeigte sich Wendelin als unfähig, ihr treu zu bleiben und den Versuchungen desKörpers zu widerstehen. Mathildes Treueversprechen ist offenbar ebenfalls als einKeuschheitsversprechen zu verstehen, wenn sie auch selbst diese Bezeichnung nichtbenutzt. Eine solche Auslegung wird von einem anderen Helden des Romans nahe gelegt,welcher auf die geistige D<strong>im</strong>ension ihres Treueversprechens verweist:

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