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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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224schleppend als spräche sie halb <strong>im</strong> Schlaf“, „ohne die Augen zu öffnen“ oder „mitgeschlossenen Augen“. Nichts desto weniger mutet ihr Verhalten etwas kindisch an,besonders in dem Moment, als sie an den Fingern des Arztes abzuzählen anfängt. Diese‚Infantilisierung’ der Protagonistin zielt anscheinend darauf ab, den Wert ihrerBehauptungen zu relativieren.Darüber hinaus ben<strong>im</strong>mt sich Merula so, als ob sie sich einem unausweichlichen Schicksalfügen müsste: sie lehnt sich an den Arzt an, meidet seinen Blick, flüstert. Sie spricht ihnauf seine Frage antwortend in der dritten Person an, was man als einen Versuch derDistanzierung auslegen könnte. Diese Textsignale lassen sich als eine subtile Oppositiongegen die männliche Omnipotenz 420 lesen und weisen auf eine gewisse Hilflosigkeit derFrau hin, die derart von der männlichen Welt dominiert ist 421 , dass sie keinen offenenWiderstand wagt.In dieser männlichen Welt befindet sich die Frau gewissermaßen in einem Zustandder Auflösung, ohne eine feste Identität, da diese auf die verschiedenen männlichenErwartungen verteilt ist. Das Ich der Frau scheint gleichsam zersplittert zu sein: dieProtagonistin ist sowohl virgo als auch Schwester, Tochter, künftige Ehefrau und Mutter.Die männliche Omnipotenz scheint sogar das Äußere der Frau zu beeinträchtigen:„Während Sie ihm voran die schmale Treppe hinaufstieg, bemerkte er für sich, daß sie heutein dem losen, kuttenähnlichen Leinenkleid, das über den Hüften mit einem ledernen Gürtelzusammengehalten wurde, wieder durchaus nichts Mädchenhaftes, aber auch gar nichts voneiner Virgo Mater an sich hatte. Sie glich eher einem verkleideten Jüngling, einem strengenEngel, der mit geneigtem Haupt, nachsinnend, aber doch stürmisch die Stufen nahm.“ (Z. S.40)Dass Merula einmal als „Virgo Mater“ erscheint, ein anderes Mal einem „Jüngling“ ähnelt,bestätigt die oben gestellte These, dass sie keine fest Identität besitze. Ihre420 Worin man wiederum eine Affinität zu der S<strong>im</strong>melschen These von der Allmacht des Männlichenerblicken könnte. Vgl. das Kapitel zu Georg S<strong>im</strong>mel.421 Merulas Beschreibung des Frauenschicksals – das Bild der Frau, die in jedem Abschnitt ihres Lebens voneinem Mann begleitet wird, angefangen bei dem Vater, durch den Bruder, Ehemann, Sohn und letzten EndesGott, verdeutlicht nicht nur das Gefangensein der Frau in den patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen,sondern auch die Abwesenheit der weiblichen Identität und die fehlende weibliche Genealogie. Denn MerulaOrley gedenkt hier mit keinem Wort ihrer Mutter oder Großmutter, von dem Wunsch nach einer Tochterganz zu schweigen. Die Zerstörung der weiblichen Genealogie bestätigen das bereits besprochene Schicksalder Mutter Veronika Orleys und vor allem ihr Tod, mit dem sich die Geschwister nicht abfinden können:„Vergessen und Schweigen!“ lautet die Parole des Großvaters in Bezug auf Weronika Orley, welcher sich dieGeschwister fügen sollten, sowie die feindlichen Beziehungen zwischen Großmutter und Enkelin.

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