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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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234Die namenlose jüdische Terroristin wartet, wahrscheinlich in einem Hotelz<strong>im</strong>merversteckt, auf näher nicht best<strong>im</strong>mte Männer, die sie ins Gefängnis abholen und vor deraufgehetzten Menschenmenge, die ihren Tod verlangt, schützen sollen. Die Frau ahntjedoch ihren Tod und ist bereit, sich ihm zu stellen. Als sie von den gehe<strong>im</strong>nisvollenMännern (allem Anschein nach handelt es sich hier um Gehe<strong>im</strong>agenten) abgeholt wird,setzt ein anonymer Mörder ihrem Leben ein Ende. Wie Horst bemerkt, lässt die Skizze DerTod einer Frau „in den letzten Minuten vor dem tödlichen Attentat den Film eines ganzenLebens in grellen Momentaufnahmen abrollen.“ 432Die Protagonistin wird als „eine schwarzgekleidete kleine Frau“ 433 charakterisiert,von ihrem Äußeren erfährt man nur noch, dass sie eine „kleine verwachsene Gestalt“ (J. S.222) ist. Da sie mit keinem Namen genannt wird, wirkt sie eher unpersönlich – inWirklichkeit ist sie aber eine starke Persönlichkeit, vor der man Angst hat: „Sie, derenMacht man empfunden hatte, wie einen bösartigen Sprengstoff, sie – die man sehrgefürchtet hatte…“ (J. S. 228).Die Terroristin kämpft für die Freiheit ihres Volkes: sie will sich jedoch ebenfallsfür den Tod ihrer Eltern rächen, die in einem Judenpogrom von Russen ermordet wurden:„Und wenn sie darbte, sie wußte ja, wofür es war, es war für ihr Volk, das ihr nicht andersmehr erschien als <strong>im</strong> Bilde des erschlagenen Vaters und der Mutter mit dem sanften,mondblassen Antlitz, das seit jenem Mordtage zur leeren Maske geworden war, zumAngesicht einer Seelenlosen, eines Golem. Aber das jüdische Volk war klein und dieMenschheit groß und Ahasverus nicht der einzige Leidende und Unterdrückte. Und da war inder Seele ein Brennen, das nichts mit Mitleid zu tun hatte, eine schmerzliche Empörung, einGeschrei nach Gerechtigkeit. Sie gehörte zu ihnen, zu den Ausgestoßenen und Enterbten,aber helfen wollte sie sich und ihnen, sie anführen, der heiße Sturmwind sein, der sievorwärts trieb. Hier und hier allein war Rettung vom Wahnsinn, war Möglichkeit, jung zusein, - auf eine seltsame Weise jung, überschwenglich in kalter Klugheit, in Berechnung, - inHaß. Auf der Fahne, die über diesem Heer wehte, stand: Brüderlichkeit.“ (J. S. 225)Obwohl das private Unglück der Protagonistin zu einem Motor ihrer Handlungen wird, soist doch nicht zu übersehen, dass sie letzten Endes das Private aufopfert, indem sie zu einer<strong>im</strong> Gehe<strong>im</strong>en wirkenden Einzelgängerin wird, die das Wohl ihres Volkes über alles andere432 Karl August Horst: <strong>Ina</strong> Seidel. Wesen und Werk. Stuttgart 1956, S. 71.433 <strong>Ina</strong> Seidel: Der Tod einer Frau. In (Dies.): Hochwasser. Novellen. Berlin 1920. S. 221-228, hier S. 221.Bei Zitaten aus der Erzählung wird die Seitennummer mit der Sigle J in Klammern angegeben.

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