11.07.2015 Aufrufe

Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

194„[...] in einem modefarbenen Straßenanzug, einem kleinen […] eleganten Strohhut auf dentief in die Schläfen hinein gescheitelten, unwahrscheinlich hellen Haaren, einen weißenSchleier vor dem Gesicht, das eben durchaus nicht nach halbasiatisch-dionysischen Taumelaussah.“ (C. S. 40)Es liegt hier auch die Schlussfolgerung nahe, dass Tatjana eine sexuell emanzipierte Frauist, was vor allem ihr „dionysischer“ Tanz ausdrückt. Dass sie eine Anhängerin der freienVerhältnisse ist, belegt vorzugsweise die Tatsache, dass Tatjana als eine allein stehendeFrau in der Begleitung eines gewissen Herrn Palmers um die Welt reist, welcher ihrvermeintlicher Impresario ist. Nicht einmal ihre Mutter, die sie ebenfalls auf ihren Reisenbegleitet, weiß, dass Tatjana in Kabaretts tanzte und sang und dass sich anschließend HerrPalmer ihrer annahm, der sie dann ausbilden ließ. Obwohl in dem Roman darauf verwiesenwird, dass die Anwesenheit des Impresarios die Tänzerin davor schützt, in Verruf zugeraten, so hat diese Beziehung einen unübersehbar doppeldeutigen Charakter. AllemAnschein nach legt die Tänzerin keinen großen Wert auf gute Sitte und Moral: in diesemKontext ist es bedeutsam, dass sie letzten Endes mit einem anderen Künstler verschwindet.Bedenkt man, dass der Roman 1905 konzipiert und 1923 gedruckt wurde, 383 so lässtsich Tatjanas körperliche Emanzipiertheit als ein Attribut der ‚Neuen Frau’ ansehen. DieProtagonistin weist darüber hinaus andere Merkmale auf, die sie in die Nähe der ‚NeuenFrau’ rücken. Vor allem ist sie eine selbst für ihren Unterhalt sorgende, allein stehendeFrau, die ihre Unabhängigkeit den Rollen der Ehefrau und Mutter vorzieht: „Ah bah,kleine Kinder! Man sollte sie totschlagen!“ (C. S. 164). Tatjana raucht auchkennzeichnenderweise Zigaretten, was ihre Verwandtschaft mit der modernenWeiblichkeit unterstreicht. Ihr ganzes Verhalten charakterisiert ebenfalls einebemerkenswerte Selbstsicherheit: Während einer Zugfahrt versucht sie, die Dame vonWelt zu spielen; die Mitreisenden betrachtet sie mit Herabsetzung. Als eine „ganz großeKünstlerin“ (S. S. 61) liest sie keine Bücher, was jedoch für sie keineswegs der Grund ist,sich zu schämen:„’Sie wissen doch, ich lese nie etwas’. Und zu Oberhof gewandt, mit dem Ausdruck einesGassenbuben und von einer Rauchwolke gefolgt, kam die Mitteilung: ‚Ich bin nämlichTänzerin!’“ (C. S. 61)383 <strong>Ina</strong> Seidel verweist in ihrem Lebensbericht darauf, dass sie die Handlung des Werkes „in die Gegenwartverlegte“, also in die zwanziger Jahre. <strong>Ina</strong> Seidel: Lebensbericht 1885-1923. Stuttgart 1970, S. 329.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!