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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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220verantwortlichen Schwester nicht uneingeschränkt ist, bringt auch eine Textstelle zumAusdruck, in welcher die Heldin auf ein Foto aus der Kindheit blickt:„Manchmal sehe ich mir die Kinderbilder von Manno und mir an […]. Meine mag ich janicht. Da ist dieses Doppelbild, das <strong>im</strong> Jahr vor Papas Tode gemacht worden ist: wieunscheinbar wirke ich da neben Manno! Ein schmales blasses Kind, dem das straffeschwarze Haar nach dem strengen Geschmack der Großmutter unkleidsam aus der Stirnzurückgerissen ist, mit einer großen Nase, und mit so unkindlich ernsten Augen! Wenn ichdies Bild ansehe, erschrecke ich, als sähe ich mich selbst, wie ich heute noch bin, aber ineinem jener Spiegel, die unendlich verkleinern, als erblicke man die eigene Gestalt durch einumgekehrtes Fernglas.“ (Z. S. 231f.)Es ist hervorzuheben, dass die Protagonistin in der Begleitung ihres Bruders lediglich„unscheinbar“ wirkt und dass sie „schmal“ und „blass“ ist: während Manno in denVordergrund tritt, wird Merula in den Hintergrund verdrängt. Diese Konstellation bleibtauch <strong>im</strong> späteren Leben der Geschwister bestehen: wie bereits gesagt, ist Merula alsKlavierspielerin nur eine Begleiterin ihres Geige spielenden Bruders, sie steht weiterhin inseinem Schatten. 418 Dass die Protagonistin ein Unbehagen be<strong>im</strong> Anblick des gemeinsamenPorträts empfindet, deutet offenbar darauf hin, dass sie die ihr zugeteilte zweitrangigePosition nicht akzeptiert. Ähnlich wie in ihrer Beziehung zum Vater vermag sie es jedochnicht, sich gegen die Rolle der Begleiterin ihres Bruders aufzulehnen.Die Beziehung Merulas zu ihrem Bruder ist freilich nicht nur durchVerantwortungsgefühl und Selbstverzicht gekennzeichnet, denn die Protagonistin begegnetihm mit einer auffallenden Mütterlichkeit. Dieser Wesenszug Merulas wird bereitswährend ihrer ersten Begegnung mit Rasmus thematisiert, der „das mütterliche Wesen, mitdem sie [den Bruder – N. N.] versorgte“ (Z. S. 25), bemerkt. Auch Manno verhält sichMerula gegenüber, als ob er ihr Kind wäre:„[Manno – N. N.] sagte schließlich: „Ich wollte noch eigentlich etwas üben, Merula!“ Dann,nachdem sie ihm zugenickt hatte wie eine Mutter, die eine Erlaubnis erteilt, die er auch418 Mit diesem Gedanken scheint <strong>Ina</strong> Seidel auf die Stellung der Frau in der patriarchalischen Ordnung zuverweisen: diese männliche Ordnung zwingt die Frau in eine untergeordnete Position, ihre Bedeutung wirdherabgesetzt. Es ist ein Denken <strong>im</strong> Sinne George S<strong>im</strong>mels, der eine der Ursachen für die Inferiorität der Frauin der männlichen Omnipotenz erblickte – auch Helene Lange ging davon aus, dass die herrschendenNormen <strong>im</strong> Grunde männlich seien. Vgl. dazu die Kapitel zu G. S<strong>im</strong>mel und H. Lange.

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