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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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147Beziehung nicht intensiviert: die Mütterlichkeit Charlottes hat zwar tatsächlich eineheilende Wirkung auf Elisabeth, zwischen den beiden Frauen besteht jedoch nach wie voreine Distanz. Die Mütterlichkeit Charlottes zeigt sich offenbar nicht als Stärke, sonderneher als Hilflosigkeit:„Wenn schon Elisabeth durch all die Jahre hindurch <strong>im</strong>mer wieder Beweise erhalten hatte,daß die Mutter ihr nicht grollte [weil Elisabeth gegen den Willen der Eltern einekonfessionelle Mischehe einging – N. N.] – eine Haltung, die mit dem Wesen dieser Frauunvereinbar gewesen wäre -, daß sie ihrer vielmehr <strong>im</strong>mer in bekümmerter, fürbittenderLiebe zugetan geblieben war, so wußte sie doch auch, daß es der Mutter unmöglich seinmußte, einen Mittelweg zu finden, der gleichermaßen ihrem Pflichtgefühl der Kirche undihrem Manne gegenüber und ihrer Mutterliebe gerecht werden konnte.“ (E. S. 66)Am deutlichsten bestätigt diese These das Verhalten der Mutter der Tochter gegenüber <strong>im</strong>Moment der ersten Begegnung nach der langen Trennung. Während sich Elisabeth vondem Gespräch mit der Mutter eine Art Läuterung und kindlichen Trost erhofft, weichtCharlotte der entscheidenden Antwort und einer deutlichen Stellungnahme aus, indem sieplötzlich einschläft. Für ihre Kinder 324 scheint Charlotte daher keine Stütze zu sein: siescheitert nicht nur in der Beziehung zu Elisabeth, sondern auch zu ihrem SohnLeonhard. 325Mit Charlotte wird das Bild einer „Spiel- und Märchenmutter“ skizziert (E. S. 53):diese Formulierung zielt jedoch nicht darauf hin, Charlotte als eine erträumte und idealeMutter darzustellen, sondern betont vielmehr die Realitätsentrücktheit ihres Wesens. Dabeiist nicht zu übersehen, dass diese Bezeichnung ebenfalls in Bezug auf Cornelie aus demWunschkind verwendet wurde, wobei sie in diesem Kontext signalisieren sollte, dassCornelie zu dem Bewusstsein ihres Ich kommen und dieses unwirkliche Bild abstreifensollte. 326 Wie bereits gesagt, findet der Prozess der Bewusstwerdung <strong>im</strong> Falle Charlottesnicht statt – die Protagonistin ist zu sehr dem wirklichen Leben abgewandt, als dass sieeine ideale Mutter sein könnte.324 Eine innigere Beziehung besteht dagegen zwischen Charlotte und ihrer Enkelin Marie, der TochterElisabeths. Die Oma wird zu einer Bezugsperson auch für Hansjakob Lennacker, den Sohn Maries.325 Leonhard begeht Selbstmord, weil er keine Chance für seine Liebe sieht: als ein Katholik darf er eineProtestantin nicht heiraten. Er ist nicht <strong>im</strong> Stande, dem Beispiel seiner Schwester Elisabeth zu folgen undeinen offenen Bruch mit der Familie, in welcher der despotische Vater das Sagen hat, und denGesellschaftsregeln zu vollziehen. Den einzigen Ausweg findet er <strong>im</strong> Freitod.326 Vgl. das Kapitel zu Cornelie.

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