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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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190„Sie [eine weibliche Figur aus dem geplanten Werk – N. N.] erkannte in jener Zeit ihresLebens (etwa Mitte der Dreißig), daß keine Einsamkeit so tödlich, so undurchdringlich seiwie die Einsamkeit des schöpferischen Menschen und vor allem die einer schöpferischenFrau.“ 374So wundert es nicht, dass sich Mathilde weigert, ihr Autoporträt anzuschauen – sie muss esjedoch tun, um sich ihre Best<strong>im</strong>mung zu vergegenwärtigen. Diesen Schluss legt dieMeinung eines Kunstkritikers nahe, der Mathildes neueste Bilder beschreibt. Er bemerkt,dass„<strong>im</strong>mer mehr Fortschritte zu verzeichnen seien, daß die Technik der Künstlerin jetzt völligzu gehorchen scheine – daß indessen die letzte Freiheit vom Stofflichen 375 noch nicht ganzerreicht sei, obgleich es zuweilen wäre, als trenne nur ein kühner Schritt, nur ein endgültigerEntschluß zum Geist hier vom innersten Heiligtum…“ (C. S. 172).Diesen letzten Schritt macht Mathilde kennzeichnenderweise nicht mehr in einemrauschähnlichen Zustand, in den sie be<strong>im</strong> Anfertigen ihres Selbstbildnisses verfiel, sondernbei vollem Bewusstsein des eigenen Ich:„Sie stand vor ihrem Bildnis, sie starrte in dies Antlitz 376 , das übermäßig vertraut war unddoch so fremd, in so entrückter Vergeistigung sie ansah, eine Forderung in den Augen, dieunbarmherzig, unerfüllbar schien und doch unwiderstehlich hinreißend zur Möglichkeittriumphierender Vollendung. Mathilde beugte die Stirn in die Hände, ihr schwindelte: „Ichwill“, flüsterte sie, „ich will! Nur – gib mir Kraft!“ (C. S. 306)Offenbar kann Mathilde einzig in der Kunst ihre Vollendung finden. Dank der Kunst kannsie vollkommen dem Geiste dienen, ihre Existenz n<strong>im</strong>mt einen „vergeistigten“ Charakter374 <strong>Ina</strong> Seidel: Material zur Kenntnis des Charakters der Fides, 1921. In: Christian Ferber (Hrsg.): <strong>Ina</strong> Seidel.Aus den schwarzen Wachstuchheften. Monologe, Notizen, Fragmente. (Unveröffentlichte Texte.) Stuttgart1980, S. 65.375 „Die Freiheit vom Stofflichen“ scheint eine indirekte Anspielung auf Bachofen zu sein, laut welchem dasMutterrecht in dem Stofflichen verwurzelt war. Die Loslösung von dem Stofflichen würde folglich denVerzicht auf die Erfüllung in der Mutterrolle bedeuten.376 Es ist markant, dass es ein Selbstbildnis ist, das den Prozess der Bewusstwerdung der weiblichen Figurbeschleunigt – darin könnte man eine Ähnlichkeit zu den Forderungen Gertrud Bäumers erblicken, lautwelcher die Frau, die auf dem Gebiet der Kunst tätig ist, sich selbst zuerst zum Gegenstand der Betrachtungmachen solle. Vgl. das Kapitel zu G. Bäumer.

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