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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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127soll sich ihm stillschweigend unterordnen. In diesem Sinne zeigt sich hier eine Diskrepanzzwischen dem Bild, das sich der Sohn von der Mutter macht, und der ‚wirklichexistierenden’ Mutter. In den Augen des Sohnes steht nämlich die Mutter für eineunbekümmerte Lebensweise; er wünscht sich„[…] eine Mutter zu sein und niemals reisen zu müssen, eine Mutter mit guten kleinenKindern in einer warmen, duftenden Küche, in der es lauter behagliche Arbeit gab, wieRübchenschaben, Suppenkochen […].“ (L. S. 80)In seinen Phantasien <strong>im</strong>aginiert der Sohn die Mutter als ein Paradies, in welchem er dieersehnte Geborgenheit findet. Sie ist es, die in seinen Gedanken auftaucht, als seineSehnsucht nach Zuhause unerträglich wird:„[…] <strong>im</strong> Halbschlummer [trat George] in den Lichtkreis von Mutters Kerze […], die jetztauch brannte, fern, irgendwo, wo er vor hundert Jahren einmal <strong>im</strong> Paradiese gewesen war.“(L. S. 60)Diese hier verwendete Lichtsymbolik lässt nicht so sehr an die Figur der Mutter denken,als vielmehr an das von ihr repräsentierte Prinzip: die von ihr ‚ausgestrahlte’ mütterlicheLiebe, dank welcher der unglückliche George die Hoffnung auf ein besseres Leben nichtendgültig aufgibt: in diesem Sinne lässt sich eine Affinität zu der BachofenschenDefinition der Mutterliebe feststellen. Laut dem Forscher sei nämlich die Mutterliebe„Lichtpunkt des Lebens, die einzige Erhellung der moralischen Finsternis, die einzigeWonne inmitten des tiefen Elends.“ (B. S. X).Dank dem <strong>im</strong>aginierten Bild der Mutter kann der kleine und unglückliche Georgevor der schrecklichen Realität fliehen, welcher er sich nicht gewachsen fühlt, einenZustand höchster Glückseligkeit genießen. Georges Vorstellung von der Mutter n<strong>im</strong>mtfolglich einen idealisierten Charakter an, er entwirft ein Scheinbild der Mutter, das mit derWirklichkeit nicht viel Gemeinsames hat. Diesen Zwiespalt mag das folgende Zitatverdeutlichen:„Die Mutter […] ließ ihn gewähren und meinte, in diesem ihrem ersten Kinde ihr eigenesHerz zu erkennen, wie es sich in den vierzehn Jahren ihrer Ehe aus kindlichemLebensvertrauen in stumme Ergebenheit des Dienenmüssens geschickt hatte.“ (L. S. 92)

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