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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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207In diesem Sinne scheint die Kleidungsweise der Protagonistin eine bewussteSelbststilisierung zu sein: Andrea kleidet sich wie ein Mönch, weil sie dadurch ihre„Verachtung irdischer Güter“ (V. S. 234) zum Ausdruck bringt. Denn die Protagonistinlegt keinen Wert auf das Materielle – als ihr die Rente zugesprochen wird, zeigt sie sichnicht glücklich, sondern verärgert:„’Das Ganze hält mich enorm <strong>im</strong> meiner Entwicklung auf’, sagte sie zornig, ‚er lädt mir eineVerantwortung auf, die ich jetzt gar nicht brauchen kann.’“ (V. S. 213).Obwohl sie auf einmal reich geworden ist, ändert sie ihre Lebensweise nicht:„Sie war […] fast vier Wochen schon eine reiche Frau, und sie lief umher als der fahrendeSchüler, der sie gewesen war, unverändert – sein Kamerad, sein Wandergenosse.“ (V. S.214)Und an einer anderen Textstelle heißt es: „Was soll ich denn mit so viel Geld? Arbeitenwill ich!“ (V. S. 226) Die Protagonistin will allem Anschein nach als eine vom Materiellenunabhängige Frau wahrgenommen werden 396 , worauf eben ihre Stilisierung zu einemMönch verweist. In dem Moment, als sie die Rente ann<strong>im</strong>mt, wird sie mit einerVerantwortung belastet, die sie wiederum in ein Abhängigkeitsverhältnis verwickelt, sie anetwas b i n d e t – und dieser Bindung will sich die Tänzerin anscheinend um jeden Preisentziehen. Denn an etwas gebunden zu werden bedeutet, seine Unabhängigkeit zuverlieren: wie wichtig der Tänzerin ihre Freiheit ist, wurde bereits angedeutet. AndreasAblehnung „irdischer Güter“, die sie nur festbinden würden, geht mit ihrer tänzerischenEigenart einher. Es liegt nicht in ihrem Charakter, sich von etwas aufhalten zu lassen: weilsie eine Tänzerin ist, ist die Bewegung, die auch ihre Unabhängigkeit symbolisiert, in ihrWesen gleichsam eingeschrieben. Für diese Schlussfolgerung spricht auch das bereitsangeführte Zitat, in dem die Protagonistin als „der fahrende Schüler“ oder„Wandergenosse“ (V. S. 214) bezeichnet wird.Andreas Ablehnung des Materiellen resultiert darüber hinaus aus ihrer politischenGesinnung – sie bekennt sich leidenschaftlich „zu einem phantastischen Kommunismus“:396 Mit der Formulierung „Verachtung irdischer Güter“ wird gegebenenfalls suggeriert, dass die Protagonistindas Irdische, das Erdgebundene ablehnt. Sie verweigert sich der Erde, die laut Bachofen das Sinnbild derMütterlichkeit ist, und lässt sich nicht durch das Stoffliche binden: da sie keine Mutter ist, fühlt sie sich mitder mütterlichen Erde nicht verbunden.

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