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Frauenbilder im Prosawerk Ina Seidels

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206dieser abfallenden Linie, sie beunruhigte den Physiognomiker in ihm sofort […].” (V. S.178)Obschon die junge Frau den Eindruck einer vollkommenen Schönheit macht, ist dieserEindruck täuschend, es ist vielmehr eine ‚getrübte Schönheit’. Die äußeren Makel weisendarauf hin, dass Andrea als Frau nicht makellos ist, dass sie nicht als Ideal gelten kann.Die Disharmonie in Andreas Aussehen geht dabei mit einer inneren Dissonanzeinher. Die Protagonistin wird offenbar von widersprüchlichen Gefühlen zerrissen: sie istfroh und traurig zugleich. Unerwartet wird in ihrem Gesicht „eine Traurigkeit“ sichtbar,(V. S. 182), sie zeigt eine „gleichmäßige, etwas wehmütige Heiterkeit“ (V. S. 183), ihrBlick ist oft „in die Ferne gerichtet“ (V. S. 183). Es liegt hier die Schlussfolgerung nahe,dass Andreas Wesen nicht harmonisch ist; ihr fehlt das innere Gleichgewicht, worauf ihreseltsamen Gemütsschwankungen verweisen. 395Die Gegensätzlichkeit ihres Charakters kommt auch in der Art und Weise zumAusdruck, wie sich Andrea kleidet. Ihre asketische Kleidung steht <strong>im</strong> krassen Kontrast zuihrem nicht asketischen Leben, zu ihrer sexuellen Emanzipiertheit:„Sie kleidete sich mit einem Geschick, das der enthaltsamsten Einfachheit den Anscheindurchdachtester Eleganz verlieh. Ihr geschmeidiger, tänzerisch durchgebildeter Körper, ihrehohe, knabenhafte Gestalt bedurften freilich keiner besonderen Mittel, um zur Geltung zukommen. Richard liebte die asketischen grauen Kutten, die sie für gewöhnlich überhemdartigen Blusen aus einem gerauhten weißen Stoff trug, fast noch mehr als ihre seltenenFestgewänder.“ (V. S. 186)Die Tatsache, dass Andrea eine graue Kutte, die an das der Keuschheit verpflichtete Lebeneines Mönches denken lässt, trägt, mutet hier etwas verwirrend an: es suggeriert einenmoralischen Konservatismus, der dem Wesen der Protagonistin widerspricht. Auf diesenKontrast zielt darüber hinaus die Verbindung der hier angedeuteten Leichtigkeit desKörpers der Tänzerin und der Schwere einer Kutte. Wichtig ist in diesem Kontext, dassauch an einer anderen Textstelle „die westliche, tänzerische Leichtigkeit ihres [Andreas]Wesens“ (V. S. 231) erwähnt wird.395 In diesem Kontext ist es bedeutend, dass laut Helene Lange die Frauen, die sich gegen das traditionellWeibliche auflehnen und modern sein wollen, indem sie sich dem Bestehenden, das <strong>im</strong> Grunde männlich ist,anzupassen versuchen, mit dem Verlust des inneren Gleichgewichts rechnen müssen. Siehe mehr dazu <strong>im</strong>Kapitel zu Lange und Bäumer.

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