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Bildungsziel: Bürger - Theodor-Heuss - Kolleg

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Wenn wir gelegentlich etwas hochtrabend vom Paradigmenwechsel sprechen, in dem das „alte<br />

Ehrenamt“ durch das „bürgerschaftliche Engagement“ abgelöst würde, dann wird gerade unter<br />

dem eingenommenen Blickwinkel einiges deutlich: Engagement folgt immer weniger diesen<br />

Schnittmustern und ebenso wenig verlaufen heute Identitätsentwicklungen in solchen vorge-<br />

zeichneten Bahnen. Wenn die Sozialwissenschaftler die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse<br />

der Gegenwart als „disembedding“ beschreiben, dann meinen sie genau dieses. Die klar vor-<br />

gezeichneten und verlässlichen Bahnen beruflicher, ehrenamtlicher und privater Lebensverläufe<br />

lösen sich immer mehr auf. Aus den Normalbiographien werden immer mehr Wahlbiographien.<br />

Und dieser Gedanke lässt sich problemlos auch auf das <strong>Bürger</strong>engagement übertragen. Mein<br />

alter Turnvereinsboss hatte klare Vorstellungen von meinem Amt als Oberturnwart und er hat<br />

mir unzweideutige Hinweise gegeben, damit ich diesen Vorstellungen auch entsprechen konnte.<br />

Er bezog seine Sicherheit aus einer scheinbar unbezweifelbaren Vorstellung von der „Ordnung<br />

der Dinge“ in unserer dörflichen Welt. Diese Ordnung passte schon nicht mehr, als mich mein<br />

Studium nach Frankfurt, Erlangen und München führte. Alleine diese Mobilitätserfahrungen<br />

bereiteten schon in gewissem Umfang auf Erfahrungen des „disembedding“ vor, die inzwischen<br />

unsere Gesellschaft grundlegend verändert haben.<br />

Eine Veränderung, zu der die sozialen Bewegungen<br />

der letzten Jahrzehnte, von der Studentenbewegung<br />

über die Frauenbewegung und ökologische Bewegung<br />

bis hin zur aktuellen Friedensbewegung einen aktiven<br />

Beitrag geleistet haben. Diese Bewegungen stellten<br />

auch ein Stück „Lebens-“ oder „Identitätspolitik“<br />

dar, insofern sich in ihnen neue Vorstellungen des<br />

„guten Lebens“ artikulierten und in experimentellen<br />

Projekten realisiert werden sollten. Zivilgesellschaft-<br />

liche Strukturen kann man das auch nennen und es<br />

ist danach zu fragen, wie Menschen in einer solchen<br />

Gesellschaft ihr Leben organisieren und ihre Identität<br />

finden. <strong>Bürger</strong>schaftliches Engagement vollzieht sich<br />

im Schnittbereich dieser beiden Fragen.<br />

Von PISA zu therapeutischen Feldern bis in den<br />

Bereich der Organisationsentwicklung hinein steht<br />

heute die Frage auf der Agenda, welche Lebenskom-<br />

© 2004 MitOst-Editionen<br />

Vorwort<br />

petenzen für eine souveräne Lebensbewältigung „an der Zeit“ sind. In einer individualisierten<br />

Gesellschaft, in der die Menschen ihre Biographien immer weniger in den gesicherten Identitäts-<br />

gehäusen der Berufsarbeit einrichten können, in der die traditionellen Geschlechterrollen ihre<br />

Fasson verloren haben und in der Lebenssinn zur Eigenleistung der Subjekte wird, sind vermehrt<br />

Fähigkeiten zur Selbstorganisation in den sozialen Mikrowelten gefordert. Fertige soziale Schnitt-<br />

muster für die alltägliche Lebensführung verlieren ihren Gebrauchswert. Sowohl die individuelle<br />

Identitätsarbeit als auch die Herstellung von gemeinschaftlich tragfähigen Lebensmodellen unter<br />

Menschen, die in ihrer Lebenswelt aufeinander angewiesen sind, erfordern ein eigenständiges<br />

Verknüpfen von Fragmenten. Bewährte kulturelle Modelle gibt es dafür immer weniger. Die roten<br />

Fäden für die Stimmigkeit unserer inneren Welten zu spinnen wird ebenso zur Eigenleistung der<br />

Subjekte wie die Herstellung lebbarer Alltagswelten. Menschen in der Gegenwart brauchen die<br />

dazu erforderlichen Lebenskompetenzen in einem sehr viel höheren Maße als die Generationen<br />

vor ihnen. Sie müssen in der Lage sein, ein Berufsleben ohne Zukunftsgarantien zu managen,<br />

ihren individuellen Lebenssinn ohne die Vorgabe von Meta-Erzählungen zu entwickeln und eine<br />

M e t h o d e n H a n d b u c h 1 9<br />

<strong>Theodor</strong>-<strong>Heuss</strong>-<strong>Kolleg</strong> der Robert Bosch Stiftung

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