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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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148die Zeit zu verkürzen. Er hätte es von Herzen gern gesehen, wenner beim Feste e<strong>in</strong> paar Arme hätte bewirten können. Da erblickter von ferne e<strong>in</strong>en armen, aber ehrwürdigen Greis, der sich derBurg naht. Er eilt ihm entgegen, grüßt ihn voll Ehrfurcht <strong>und</strong>fragt ihn, warum er komme. Und der Greis erwidert, er komme,um sich Almosen zu erbitten. Da nimmt ihn der Jüngl<strong>in</strong>g vollFreude mit auf die Burg. Dort gibt er ihm den Platz an derHochzeitstafel sich selbst gegenüber. Er kann se<strong>in</strong>e Augen nichtvon se<strong>in</strong>em Antlitze abwenden.Die so überaus würdige Ersche<strong>in</strong>ung<strong>des</strong> Greises erregt se<strong>in</strong> Wohlgefallen so, daß er Mahl <strong>und</strong> Musikvergißt <strong>und</strong> den Anblick dieses Greisenantlitzes, das ihm immerherrlicher ersche<strong>in</strong>t, allen irdischen Freuden vorzieht. Nachdemdas Mahl beendet ist, dankt ihm der Greis <strong>und</strong> will sich fortbegeben.Der Jüngl<strong>in</strong>g aber bittet ihn zu bleiben <strong>und</strong> hat nure<strong>in</strong>en Wunsch, beständig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Umgebung leben zu dürfen.Der Greis jedoch lehnt se<strong>in</strong>e Bitte ab <strong>und</strong> spricht: „Hier bleibenkann ich nicht. Willst du mich wiedersehn, dann werde ichmorgen zur selben Zeit e<strong>in</strong> Esele<strong>in</strong> schicken, das wird dich zumir tragen." Darauf entfernt sich der Greis, der Jüngl<strong>in</strong>g aberist von Herzen traurig. Er denkt nicht mehr an se<strong>in</strong>e Hochzeit,<strong>und</strong> voll Ungeduld erwartet er den nächsten Tag. Und gegendie erste St<strong>und</strong>e kommt wirklich e<strong>in</strong> Esele<strong>in</strong> ganz alle<strong>in</strong> ohneKeiter heran. Er steigt auf, <strong>und</strong> <strong>in</strong> kurzer Zeit ist er <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er Gegend, wo sanfte Lüfte wehen, wo prächtige Ha<strong>in</strong>e mitschönen Blumen <strong>und</strong> Bäumen stehen, die erfüllt s<strong>in</strong>d von entzückendemVogelgesang. Dort kommt er vor e<strong>in</strong>e Burg, die ganzaus Gold <strong>und</strong> Edelste<strong>in</strong>en erbaut ist, <strong>und</strong> dar<strong>in</strong> sieht er e<strong>in</strong>egroße Menge schöner Menschen. Er reitet h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>und</strong> begegnete<strong>in</strong>em Greise, der ihn fragt, warum er komme, <strong>und</strong> er erwidertdiesem ehrwürdigen Greise, er sei von e<strong>in</strong>em Armen, der bei se<strong>in</strong>emHochzeitsmahle zu Gaste gewesen sei, e<strong>in</strong>geladen worden. Beidieser Antwort lächelt jener <strong>und</strong> spricht: „Dieser Arme ist derSchöpfer aller Welt <strong>und</strong> unser Gott." Darauf ergreift er se<strong>in</strong>eHand <strong>und</strong> führt ihn <strong>in</strong> die Burg se<strong>in</strong>es Herrn. Und als derJüngl<strong>in</strong>g den Herrn erblickt, erkennt er ihn sogleich, <strong>und</strong> Seligkeiterfüllt se<strong>in</strong> Herz. Ganz <strong>in</strong> den Anblick se<strong>in</strong>es Antlitzes versunken,das ihm von Augenblick zu Augenblick immer herrlicherersche<strong>in</strong>t, vergißt er das prächtige Mahl, das vor ihm auf der

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