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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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46er ihr se<strong>in</strong>en Sohn zur Pflege. Der Bruder <strong>des</strong> Grafen aber, derihre Schönheit sieht, verfolgt sie mit sündhaften Anträgen. Datötet er, um sie bei se<strong>in</strong>em Bruder <strong>in</strong> Schande zu stürzen, <strong>des</strong>senSohn. Die Frau f<strong>in</strong>det das K<strong>in</strong>d ermordet <strong>und</strong> bricht <strong>in</strong> ihremSchrecken <strong>in</strong> laute Klagen aus. Das Hausges<strong>in</strong>de eilt herbei <strong>und</strong>erblickt das getötete K<strong>in</strong>d. Und sie empören sich aufs höchsteüber das arme Weib <strong>und</strong> verlangen ebenso wie der Bruder <strong>des</strong>Grafen, daß sie mit dem Feuertode bestraft werde. Der Graffürchtet, dadurch Gott zu beleidigen; <strong>und</strong> ohne sie vor e<strong>in</strong> Gerichtzu stellen, befiehlt er, man solle sie übers Meer <strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderesLand br<strong>in</strong>gen. Die Schiffer stellen an sie unerlaubte Ans<strong>in</strong>nen,<strong>und</strong> da sie nichts von ihr erreichen können, setzen sie sie mittenim Meere auf e<strong>in</strong>em Felsen aus. Sie aber betet zu Gott: „0 Herr,ich weiß, daß du die nicht verläßt, die auf dich vertrauen." Undso saß sie <strong>in</strong> Ergebung dort, bis sie e<strong>in</strong>schlief. Da schien es ihr,als ob e<strong>in</strong>e herrliche Jungfrau herankäme, die zu ihr sprach:„Bald wirst du aus dieser Not befreit se<strong>in</strong>. Grab die Kräuter,die du unter de<strong>in</strong>em Haupte f<strong>in</strong><strong>des</strong>t; mit ihnen wirst du jedenAussätzigen heilen können." Wie sie aber so da saß, hörte siee<strong>in</strong> Schiff vorüberfahren. Dar<strong>in</strong> waren Leute jenes Grafen, <strong>in</strong><strong>des</strong>sen Hause sie Aufnahme gef<strong>und</strong>en hatte. Und als sie die Frauauf dem Felsen sahen, nahmen sie sie <strong>in</strong> das Schiff <strong>und</strong> erzähltenihr, daß sie e<strong>in</strong>en Arzt suchten, der dem Bruder ihres Herrn helfenkönne; denn er leide am Aussatz. Und sie erbot sich, ihn zuheilen. Sie fuhren zurück. Und sie forderte den Aussätzigen auf,se<strong>in</strong>e Sünden zu bekennen, besonders den Mord, den er an demSohne se<strong>in</strong>es Bruders begangen habe. Das tat er auch. Da nahmdie Frau das Kraut, das ihr die heilige Jungfrau gezeigt hatte,<strong>und</strong> heilte ihn. Der Graf aber war von Herzen traurig, daß erdurch jene Verleumdung die edle Frau verloren hatte. Nun gibtsie sich zu erkennen. Und der Euf ihrer Heilkraft kommt auchdem Könige von England zu Ohren. Und er schickt nach ihr mitder Bitte, sie möchte auch se<strong>in</strong>en Bruder von dem Aussatzere<strong>in</strong>igen. Sie geht h<strong>in</strong> <strong>und</strong> spricht zu dem Kranken: „Nur dannkann von mir e<strong>in</strong> Kranker geheilt werden, wenn er öffentlich allese<strong>in</strong>e Sünden bekannt hat." Und so bekennt er unter Klagen, daßer die tugendhafte König<strong>in</strong> gr<strong>und</strong>los verleumdet habe. Daraufheilt ihn die Frau. Und da sie sieht, daß der König über den

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