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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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39was der Herr verheißen hat; denn sonst kann ich nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>Reich kommen." Und es kam e<strong>in</strong> Mann <strong>und</strong> sprach zu ihm,wenn er sich nicht <strong>in</strong> der nächsten Nacht verbergen wolle, dannkönne er unmöglich se<strong>in</strong>em Bruder entgehen. Sigism<strong>und</strong> abersprach zu ihm: „Me<strong>in</strong> Herr Jesus Christus ist für mich gestorben;daher will ich gern für ihn den Tod erdulden. So möge me<strong>in</strong>Bruder kommen <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e Seele dem Herrn übergeben; denn ichb<strong>in</strong> gewiß, daß ich an der Seite me<strong>in</strong>es Herrn im Himmel herrschenwerde. Ihm aber möge se<strong>in</strong>e Sünde verziehen werden." Mit diesenWorten begab er sich <strong>in</strong> Begleitung der Mönche <strong>in</strong> die Kirchezum Gebete. Und se<strong>in</strong> Bruder kam herbei <strong>und</strong> rief: „Wie langenoch soll ich, du Frevler, de<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>terlist erdulden?" Und erriß se<strong>in</strong> Schwert aus der Scheide <strong>und</strong> stieß se<strong>in</strong>en Bruder nieder.Dieser aber betete: „Herr Jesus Christus, nimm me<strong>in</strong>en Geistauf <strong>und</strong> verzeihe me<strong>in</strong>em Bruder diese Sünde." Mit diesen Wortengab er se<strong>in</strong>en Geist auf <strong>und</strong> g<strong>in</strong>g <strong>in</strong>s ewige Leben e<strong>in</strong>.20.Von e<strong>in</strong>er Nonne, die sich die Augen ausbohrte.Man liest <strong>in</strong> den Chroniken der Engländer, daß e<strong>in</strong>st <strong>in</strong>Poitou e<strong>in</strong>e vornehme Jungfrau lebte, die sehr schön von Gestalt,noch schöner aber <strong>in</strong> ihrem Innern war, <strong>und</strong> die von Gott dieGnade empfangen hatte, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kloster leben zu können. E<strong>in</strong>stsah sie e<strong>in</strong> Graf von Poitou <strong>und</strong> entbrannte alsbald <strong>in</strong> leidenschaftlicherLiebe zu ihr. Und er sandte ihr e<strong>in</strong>en Brief mit derAufforderung, sie solle sich zu ihm begeben, sonst würde er ihrKloster zerstören <strong>und</strong> sie gewaltsam entführen. Die Jungfrauaber sprach vom heiligen Geiste erleuchtet: „Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e BrautChristi; an se<strong>in</strong>er Stelle kann ich niemand anderen wählen." Alsdas dem Grafen gemeldet wurde, eilte er zum Kloster, um es zuzerstören <strong>und</strong> die Nonne zu entführen. Das aber sah diese voraus,<strong>und</strong> sie ließ ihn ans Fenster rufen <strong>und</strong> fragte ihn, was es dennsei, das ihn am stärksten zu se<strong>in</strong>er Leidenschaft entflammt habe.Und er antwortete, das wären ihre herrlichen Augen. Da sprachdie Jungfrau: „Warte hier e<strong>in</strong>en Augenblick auf mich." Undsie g<strong>in</strong>g weg, riß sich die Augen aus <strong>und</strong> legte sie auf e<strong>in</strong>eSchüssel. Damit trat sie zum Fenster <strong>und</strong> sprach: „Hier nimm,

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