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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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37tore kam, sah er dort e<strong>in</strong>en Menschen liegen, der von e<strong>in</strong>er sofurchtbaren <strong>und</strong> ekelhaften Krankheit befallen war, daß ihn sogardie Aussätzigen selbst nicht <strong>in</strong> ihrer Mitte dulden mochten. DerE<strong>in</strong>siedler jedoch geht an ihn heran <strong>und</strong> dient ihm <strong>und</strong> tröstetihn im Herrn. Der Aussätzige aber spricht: „Gepriesen sei Gott,der Höchste, der mir diese Krankheit geschickt hat. Ich fürchteaber, daß mir der Herr wegen de<strong>in</strong>er demütigen Dienste denhimmlischen Lohn m<strong>in</strong>dert." „Das wird er nicht tun;" entgegnetder E<strong>in</strong>siedler, „denn ich habe den göttlichen Befehl erhalten,hierher zu gehen, um mir himmlischen Lohn zu verdienen." Soentbrannte ihr heiliger Wettstreit täglich von neuem. Je mehrder E<strong>in</strong>siedler ihm diente, <strong>des</strong>to größer wurde auch se<strong>in</strong> Eifer <strong>in</strong>diesem Dienste; aber <strong>des</strong>to weniger ließ es der Kranke zu, ihnzu pflegen, damit er größere Schmerzen hätte <strong>und</strong> so se<strong>in</strong> Lohnim Himmel größer würde. So verg<strong>in</strong>gen fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahre,<strong>und</strong> es kam der Tag, an dem der Kranke zum Herrn e<strong>in</strong>gehensollte. Bevor er starb, küßte er dem E<strong>in</strong>siedler die Hände <strong>und</strong>dankte ihm für se<strong>in</strong>e treue Pflege. Der E<strong>in</strong>siedler aber bat denHerrn, er möchte ihm zeigen, wie diese heilige Seele aus demLeibe scheiden würde. Und da der Herr mit se<strong>in</strong>er Erhörungall denen nahe ist, die ihn <strong>in</strong> Wahrheit anrufen, gewährte erihm se<strong>in</strong>e Bitte <strong>und</strong> zeigte es ihm. Denn als die To<strong>des</strong>st<strong>und</strong>eherankam, hörte er e<strong>in</strong>e Stimme vom Himmel; „Komm, Erwählter,gehe e<strong>in</strong> <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Freuden." Da sprach jene glückselige Seelejubelnd zu allen S<strong>in</strong>nen <strong>des</strong> Leibes: „Ich danke euch, daß ihrmir gehorchtet; euch, Augen, daß ihr die Eitelkeiten der Weltnicht zu schauen begehrtet; euch, Ohren, daß ihr nicht ihreNichtigkeiten hören wolltet; euch, Hände, daß ihr nicht nachs<strong>in</strong>nlichen Vergnügen langtet; euch, Füße, daß ihr nicht zuEitelkeiten eiltet; dir, Nase, daß du Wohlgerüche verschmähtest;dir, M<strong>und</strong>, daß du den Wohlgeschmack verachtetest. Daher seiauch du, me<strong>in</strong> Körper, froher Erwartung. Du wirst die Herrschaftzum Lohne erhalten <strong>und</strong> <strong>in</strong> Frieden ruhn, bis du für de<strong>in</strong>e Arbeitdie ewige Vergeltung erhalten wirst." Mit diesen Worten entschwebtedie Seele, geleitet von den Chören der Engel, zumHimmel.

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