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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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196halte dich heute so auf den Tod vorbereitet, als ob du morgensterben solltest.« Dieser Vogel, das heißt, der Tod vernichtet dieMächtigen wie die Schwachen, die Eeichen wie die Armen, dieJungen wie die Alten <strong>und</strong> meist dann ganz plötzlich, wenn manes am wenigsten ahnt. Der heilige Bernhard sagt: »Was soll ichnoch mehr sagen? Der grimme Tod schont niemanden.« Deshalblesen wir: »Nichts ist so gewiß wie der Tod, nichts ist ungewisserals die St<strong>und</strong>e <strong>des</strong> To<strong>des</strong>.« Und der Herr spricht im Evangelium:»Wachet, denn ihr wißt weder Tag noch St<strong>und</strong>e.« Unter denVögeln, die alle davonflogen, als der Baum zerschmettert wurde,<strong>und</strong> sich zerstreuten, müssen wir uns die Vornehmen, Könige,Herzöge, Mächtigen, die Gaukler, Spielleute <strong>und</strong> Bänkelsängervorstellen, die nach ihrem Tode wie Staub <strong>und</strong> Asche verwehtwerden, weil sie nicht an Gott dachten, <strong>und</strong> die <strong>des</strong>halb <strong>in</strong> dieHölle getrieben <strong>und</strong> <strong>in</strong> Ewigkeit <strong>in</strong> mannigfachen Fe<strong>in</strong>en von denTeufeln geplagt werden. Deshalb sagt August<strong>in</strong>us: »Es ist besser,wie e<strong>in</strong> Armer <strong>in</strong> Le<strong>in</strong>wand als wie e<strong>in</strong> König <strong>in</strong> Seide auf derTotenbahre zu liegen.«" Und nun, Geliebte, nehmt dieses Gleichniszu Herzen, dient Gott voll Eifer, Jüngl<strong>in</strong>ge wie Greise, denneuch allen steht der Tod vor der Tür, vor allem aber den Greisen.So laßt uns Gott bitten, daß er uns allen e<strong>in</strong> gutes Ende schenke.Amen.188.Von e<strong>in</strong>em Könige, der se<strong>in</strong>en Söf<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>en Baum vererbte.E<strong>in</strong>st lebte e<strong>in</strong> herzensguter König, der hatte vier Söhne.Als die Tage se<strong>in</strong>es Lebens vollendet waren, wurde er von e<strong>in</strong>erKrankheit befallen, <strong>und</strong> er erkannte, daß er sterben müßte. Undda er fühlte, daß er dem Tode nicht mehr entgehen könnte, riefer se<strong>in</strong>e Söhne, um noch zu Lebzeiten das Keich unter sie zu verteilen;<strong>und</strong> als er jedem von ihnen se<strong>in</strong>en Teil zugesprochen hatte,blieb ihm noch e<strong>in</strong> Baum übrig, der mehr wert war als se<strong>in</strong> ganzesLand. Da trat <strong>in</strong> Abwesenheit se<strong>in</strong>er Brüder der älteste Sohn anden Vater heran <strong>und</strong> bat ihn dr<strong>in</strong>gend, er möchte ihm jenen edlenBaum schenken. Und der Vater sprach ihm alle Zweige <strong>des</strong>Baumes zu. Darüber freute sich der älteste Sohn von Herzen <strong>und</strong>g<strong>in</strong>g fröhlich von ihm h<strong>in</strong>weg. Nun trat der zweite Sohn an denKönig heran <strong>und</strong> bat ihn gleichfalls um den Baum. Und der

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