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Erzählungen des Mittelalters in deutscher Übersetzung und ...

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78die Nacht h<strong>in</strong>durch zu wachen. Wie sie nun um Mitternachtalle <strong>in</strong> frommem Schweigen wachen, kommt die allerseligste JungfrauMaria mit e<strong>in</strong>em weiten Mantel bekleidet mit e<strong>in</strong>er großenSchar glänzender Jungfrauen <strong>in</strong> feierlichem Zuge, um die Krankenzu heilen; h<strong>in</strong>ter ihnen aber folgt der heilige Nikolaus mit denbischöflichen Gewändern angetan. Und sie sangen alle e<strong>in</strong> Lied,das bisher nirgends auf Erden gehört worden war, nämlich „Gegrüßetseist du, König<strong>in</strong>." Wie dieser Gesang nun zu uns gekommenist, will ich jetzt berichten. Die Himmelskönig<strong>in</strong> gehtdaher <strong>und</strong> umschließt mit ihrem Ärmel zunächst alle Krankenauf der rechten Seite, dann wendet sie sich zurück <strong>und</strong> tut dasselbemit den Kranken auf der l<strong>in</strong>ken Seite, <strong>und</strong> sogleich s<strong>in</strong>d siegeheilt <strong>und</strong> empf<strong>in</strong>den <strong>in</strong> ihrem Herzen e<strong>in</strong>e w<strong>und</strong>erbare Wonne.Nun lebte zu dieser Zeit <strong>in</strong> jener Gegend e<strong>in</strong> frommer <strong>und</strong> derseligen Jungfrau treu ergebener Knabe, der auch mit der gleichenKrankheit behaftet war. Und da der Herr allen denen nah ist,die ihn re<strong>in</strong>en Herzens anrufen, trifft es sich, daß dieser Jüngl<strong>in</strong>gum dieselbe nächtliche St<strong>und</strong>e <strong>in</strong> jene Kirche gebracht wird, umdie die anderen Kranken von Maria geheilt worden s<strong>in</strong>d. Da dieselige Jungfrau auch auf ihn ihre barmherzigen Augen wendet,kommt sie noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> die Kirche, wiederum von glänzendenJungfrauen begleitet, die das „Gegrüßet seist du, König<strong>in</strong>" s<strong>in</strong>gen.Der Knabe will sich vor Maria verbergen, doch die Himmelskönig<strong>in</strong>geht auf ihn zu <strong>und</strong> spricht: „Wenn du von de<strong>in</strong>erKrankheit geheilt werden willst, dann sollst du morgen den Gesang,den du jetzt gehört hast, allen Menschen lehren zum LobeGottes <strong>und</strong> zu me<strong>in</strong>em Ruhm, obschon du nur e<strong>in</strong> ungebildetesK<strong>in</strong>d bist." Und der Knabe empf<strong>in</strong>g w<strong>und</strong>erbare Unterweisungen<strong>und</strong> lehrte, was noch seltsamer ist, alle Nonnen jenes Klosters,die den Gesang mit vielen Freuden entgegenahmen <strong>und</strong> zum Lob<strong>und</strong> Preise der seligen Jungfrau Maria zu jedem St<strong>und</strong>engebetesangen. Im Laufe der Zeit aber nahmen auch viele andere Orden<strong>und</strong> Mönche diesen Gesang für ihre besonderen Anliegen <strong>in</strong> ihreGebete voll Ehrfurcht auf. Und es ist e<strong>in</strong>e offenk<strong>und</strong>ige Tatsache,daß sie durch ihn aus vielen Nöten Errettung gef<strong>und</strong>en haben.

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