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Migration und Integration - RatSWD

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Soziale Strukturbildung durch <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> <strong>Integration</strong><br />

Vertriebenen in der Nachkriegszeit, die 1950 r<strong>und</strong> ein Sechstel der Bevölkerung der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik stellten. Nach gewaltigen Anstrengungen auf allen Ebenen, vor<br />

allem im Rahmen des „Lastenausgleichs”, <strong>und</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong> des „Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers”<br />

wurde ihre <strong>Integration</strong> dennoch schon Ende der 1950er Jahre<br />

gemeinhin als abgeschlossen betrachtet (Schulze et al. 1987, Heidemeyer 1994,<br />

Schraut/Grosser 1996).<br />

Bis in die Gegenwart gilt die <strong>Integration</strong> von Flüchtlingen <strong>und</strong> Vertriebenen als<br />

Erfolgsbeispiel: Unter Zwang Zugewanderten <strong>und</strong> ihren Kindern wurde der Zugang<br />

zu den relevanten Bereichen der Lebensführung eröffnet <strong>und</strong> ihnen gelang der<br />

Erwerb damit verknüpfter sozialer Statuspositionen. Dabei wird freilich übersehen,<br />

dass dies für viele Flüchtlinge <strong>und</strong> Vertriebene <strong>und</strong> ihre Familien zumindest auf Zeit<br />

mit einer sozialen Deklassierung, Marginalisierung <strong>und</strong> – wenn überhaupt – erst<br />

einem verspäteten sozialen Wiederaufstieg verb<strong>und</strong>en war. Gleichwohl löste sich in<br />

diesem Prozess die große Gruppe der Vertriebenen <strong>und</strong> Flüchtlinge als sozialstrukturell<br />

eigenständig identifizierbare Kategorie auf (Lüttinger 1986 <strong>und</strong> 1989, Bade<br />

1987).<br />

Vor allem drei Aspekte der <strong>Integration</strong> der Flüchtlinge <strong>und</strong> Vertriebenen im westlichen<br />

Nachkriegsdeutschland sind auch für die gegenwärtigen <strong>Migration</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Integration</strong>sprozesse<br />

instruktiv: Hinsichtlich der Sozialstruktur gilt dies für die Entstehung<br />

sozialer Schichtung, in politischer Hinsicht für die Einbindung in die politischen<br />

Organisationsformen <strong>und</strong> in religiös-konfessioneller Hinsicht für eine durch<br />

Zuwanderung ausgelöste Säkularisierung <strong>und</strong> Pluralisierung.<br />

Soziale Schichtung<br />

Moderne Gesellschaften sind Konkurrenzgesellschaften mit steten Auseinandersetzungen<br />

um die Verteilung sozialer Ressourcen <strong>und</strong> Positionen. Von Bedeutung sind<br />

dabei insbesondere die ökonomischen, politischen <strong>und</strong> erzieherischen Rahmenbedingungen,<br />

unter denen solche Konkurrenzen ausgetragen werden. Vor diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> war die <strong>Integration</strong> der Flüchtlinge <strong>und</strong> Vertriebenen nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg im Wesentlichen durch zwei Konstellationen geprägt: Zu der von den<br />

Alliierten genehmigten, organisierten <strong>und</strong> nachträglich durch den entstehenden<br />

westdeutschen Staat nicht rückgängig zu machenden Zwangszuwanderung der<br />

Vertriebenen <strong>und</strong> den sich damit stellenden Eingliederungsaufgaben gab es keine<br />

politische Alternative. Sie zwang die Länder, Kommunen <strong>und</strong> seit 1949 den B<strong>und</strong><br />

angesichts des anfänglichen Mangels an Wohnraum, Nahrung, Arbeit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsversorgung<br />

zur Abstimmung darüber, wie auch unter schlechten Bedingungen<br />

die <strong>Integration</strong> der Flüchtlinge <strong>und</strong> Vertriebenen gewährleistet werden konnte.<br />

Streitigkeiten über Zuständigkeiten zwischen B<strong>und</strong>, Ländern <strong>und</strong> Kommunen über<br />

die Verteilung der Flüchtlinge <strong>und</strong> Vertriebenen, über Fragen des Lastenausgleichs,<br />

über politische Beteiligungsrechte <strong>und</strong> Organisationschancen usw. – all dies war<br />

unter der unaufhebbaren Prämisse auszutragen, dass die Eingliederung der Flüchtlinge<br />

<strong>und</strong> Vertriebenen zu akzeptieren, zu organisieren <strong>und</strong> im Verhältnis zu den<br />

Ansprüchen der übrigen Bevölkerung zu balancieren war. Die politische Gestaltung<br />

der sozialen <strong>Integration</strong> erfolgte im Wesentlichen im Rahmen von Regelungen, die<br />

schließlich im Lastenausgleichsgesetz sowie im B<strong>und</strong>esvertriebenen- <strong>und</strong> Flüchtlingsgesetz<br />

zusammengefasst wurden.<br />

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