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312<br />
"Das subjective formale Rechtsprincip, – das Recht soll <strong>de</strong>n Menschen so<br />
hergestellt wer<strong>de</strong>n, dass einem Je<strong>de</strong>n auf gleiche Weise, dass Allen nur<br />
zugleich und gleichförmig ihr Recht geleistet wer<strong>de</strong>; je<strong>de</strong>r Mensch soll<br />
einem je<strong>de</strong>n Menschen, wie je<strong>de</strong>m An<strong>de</strong>rn, von seiner Seite das Recht<br />
leisten; 102 kurz: Gleichheit <strong>de</strong>s Rechts für Alle wird gefor<strong>de</strong>rt. – Aber die<br />
Menschen sind zwar als Menschen ihrer ewigen Wesenheit nach, und in<br />
<strong>de</strong>r Einen unendlichen Zeit betrachtet, Alle gleich und haben daher auch<br />
als Menschen Alle gleiche Rechte; aber sie sind auch als eigenlebliche<br />
Menschen, und in je<strong>de</strong>m endlichen Zeitraume ihres Lebens betrachtet,<br />
vielfach wesentlich verschie<strong>de</strong>n; verschie<strong>de</strong>n durch ihre angeborenen<br />
vielseitigen Anlagen, verschie<strong>de</strong>n durch das Geschlecht, dann nach <strong>de</strong>n<br />
Lebensalter endlich nach ihren äußeren Lebensumstän<strong>de</strong>n. Alle diese<br />
Verschie<strong>de</strong>nheiten fin<strong>de</strong>t das gleichfalls eigenleblich individuelle, zu<br />
bestimmen<strong>de</strong> Recht vor; <strong>de</strong>nn es sind grundwesenliche Verschie<strong>de</strong>nheiten<br />
<strong>de</strong>s unendlich bestimmten Lebens selbst. Nun aber soll das Recht das<br />
Ganze aller zeitlichfreien Bedingnisse für alles Wesenliche <strong>de</strong>s Lebens<br />
herstellen; mithin auch herstellen für die Ausbildung <strong>de</strong>s Lebens nach<br />
allen <strong>de</strong>n genannten wesenlichen individuellen Verschie<strong>de</strong>nheiten. Alle<br />
diese Verschie<strong>de</strong>nheiten aber sind enthalten in <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r<br />
unendlichen Alleineigenlebheit o<strong>de</strong>r Individualität aller Menschen gegen<br />
Alle, in<strong>de</strong>m überhaupt je<strong>de</strong>r Mensch in seiner Eigenthümlichkeit nur<br />
einmal ist, und einzig im ganzen Weltall und in <strong>de</strong>r Einen unendlichen<br />
Gegenwart. Mithin hat die Alleineigenthümlichkeit <strong>de</strong>s Lebens, o<strong>de</strong>r die<br />
Individualität, aller Menschen auch ihr Recht, und daher besteht ewig die<br />
Rechtsfor<strong>de</strong>rung: dass innerhalb <strong>de</strong>r Gleichheit <strong>de</strong>r allgemeinen<br />
Menschenrechte auch einem Je<strong>de</strong>n die beson<strong>de</strong>ren und eigenthümlichen<br />
Bedingnisse geleistet wer<strong>de</strong>n, sein Leben nach seiner ihm alleineignen<br />
Weise, nach seiner Individualität, nach allen <strong>de</strong>n vorhergenannten grundwesenlichen<br />
Verschie<strong>de</strong>nheiten in Eigenthümlichkeit zu vollen<strong>de</strong>n. Daraus<br />
ergiebt sich, dass we<strong>de</strong>r das Eine gegrün<strong>de</strong>t ist, was in neuerer Zeit<br />
fanatisch behauptet und erstrebt wor<strong>de</strong>n ist: dass alle Menschen<br />
schlechterdings nur i<strong>de</strong>ntische, gleiche, Rechte hätten, noch auch das<br />
An<strong>de</strong>re, was ebenso fanatisch ergriffen und durchgesetzt wor<strong>de</strong>n ist: dass<br />
je<strong>de</strong>r Mensch nur sein eigenthümliches, ganz individuelles Recht habe,<br />
und mithin an ein allgemeines für alle Menschen gelten<strong>de</strong>s (menschliches)<br />
Recht nicht zu <strong>de</strong>nken sey. Vielmehr beruhen diese irrigen Behauptungen<br />
bei<strong>de</strong> auf zwei Grundwahrheiten, welche aber zu gleich missverstan<strong>de</strong>n<br />
und in einseitiger Uebertreibung aufgefasst wur<strong>de</strong>n. Das allgemeine Allen<br />
gleiche Recht <strong>de</strong>s Menschen ist die ewige, unverän<strong>de</strong>rliche, allgemeine<br />
und für Alle bleiben<strong>de</strong> Grundlage aber auf dieser Grundlage muss dann<br />
weiter das Recht nach allen jenen individuellen Verschie<strong>de</strong>nheiten auf<br />
eigenthümliche Weise für je<strong>de</strong>n Menschen weiter bestimmt wer<strong>de</strong>n."<br />
102 "Die Verbindlichkeit ist allerdings wechselseits, aber es ist eine grundirrige Ansicht<br />
(Fichte), dass eine einseitige Rechtsverletzung <strong>de</strong>n Verletzten und die ganze Gesellschaft<br />
alles Rechtsverhältnisses gegen <strong>de</strong>n Verletzen<strong>de</strong>n entbin<strong>de</strong>. Das Recht for<strong>de</strong>rt Erfüllung<br />
je<strong>de</strong>s einzelnen Rechts unbedingt; gera<strong>de</strong> so wie bei <strong>de</strong>r sittlichen Verpflichtung: Nicht<br />
Böses mit Bösem, Nicht Unrecht mit Unrecht. Es ist ein Grundsatz <strong>de</strong>s Unrechtes: Volenti<br />
non fit injuris" (Zitat aus <strong>de</strong>n Nebenaufzeichnungen).