Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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Zahl der Arbeitslosen <strong>und</strong> Ausgesteuerten nach sich zog. Um die Mitte des Jahres<br />
registrierte die Behörde eine Zunahme der Verelendung der Bevölkerung, die besonders<br />
in der Gegend von Donawitz, Leoben <strong>und</strong> Bruck horrende Ausmaße erreichte.<br />
Ein Ende dieser schrecklichen Zustände war nicht in Sicht. Die örtlichen Kommunistenführer<br />
nutzten diese Situation aus, um speziell die jugendlichen Arbeitslosen<br />
zu gewalttätigen Demonstrationen aufzustacheln. Als besonders neuralgischer Punkt<br />
galt das Arbeitsamt Leoben, das auch für Donawitz, wo sich die meisten Arbeitslosen<br />
befanden, zuständig war. An den wöchentlich stattfindenden „Stempeltagen“ 294<br />
strömten Arbeitslose aus der ganzen Umgebung, zeitweise bis zu 3000 Menschen,<br />
zum Arbeitsamt in Leoben. An jenen Tagen mussten die örtlichen Sicherheitskräfte<br />
besondere Vorkehrungen treffen, da es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen<br />
zwischen arbeitslosen Gesinnungsgegnern kam. Am 22. August 1932 beispielsweise<br />
erschienen mehr als 2000 Personen zum Abstempeln ihrer Arbeitslosenkarten <strong>und</strong><br />
weitere etwa 200 Menschen, die sich für die Unterstützung anmelden wollten. Im<br />
Verlauf der üblichen Tumulte war es zu einer regelrechten Verfolgungsjagd gekommen.<br />
Etwa 50 Arbeitslose verfolgten einen Heimatschützer, der in seiner Not mit<br />
einer Pistole auf seine Verfolger zielte. Schließlich gelang es dem Verfolgten, in die<br />
Gendarmeriekaserne zu flüchten. 295 In jener aufgeladenen Atmosphäre kam es oft zu<br />
Aktionen wie diese gegen arbeitslose Heimatschützer. Angeblich hatten sich die einstigen<br />
Günstlinge der ÖAMG als Betriebsräte mit Äußerungen wie „die Arbeitslosen<br />
sollen keine Unterstützung bekommen, sondern Gras fressen“ bei der übrigen Arbeiterschaft<br />
verhasst gemacht. 296 Der arbeitslose Tischlergeselle Franz Schick, damals<br />
etwa 19 Jahre alt, beschrieb die Not vieler Menschen in Leoben <strong>und</strong> Umgebung<br />
folgendermaßen:<br />
Leoben war bevölkert von Arbeitslosen <strong>und</strong> viele davon waren schon ausgesteuert.<br />
(…) Ihr müßt euch vorstellen, daß man kein Geld gehabt hat. Man<br />
mußte ja fast betteln gehen hier. (…). Wir Jungen, kaum ausgelernt, standen<br />
vor dem Nichts. So gingen wir auf die Walz (…). So zogen wir von Dorf zu<br />
Dorf (…) um Geld zu erbetteln. (…). Es war bitter besonders für uns junge<br />
Menschen ohne Zukunft, ohne Bleibe <strong>und</strong> ohne Hoffnung – nur mit einem<br />
Gedanken: den Hunger zu stillen. (…). In dieser Zeit kommt es in Leoben zu<br />
den ersten Hungerdemonstrationen, (…) die (…) immer von den Kommunisten<br />
angeführt (wurden).<br />
Nach der erlebten Enttäuschung der Februar-Ereignisse wandte sich Franz Schick<br />
der KPÖ zu. Ein weiterer „Walzbruder“, Sepp Filz, war bereits Jahre zuvor der<br />
KPÖ beigetreten <strong>und</strong> engagierte sich später im aktiven Widerstand gegen das<br />
294 Jeden Freitag <strong>und</strong> Samstag. Der Leobener Bezirkshauptmann regte die Errichtung einer Expositur<br />
in Donawitz an, um den „unliebsamen Zuzug“ der Donawitzer Arbeitslosen nach Leoben zu vermeiden:<br />
StLA L.Reg. K.678: Gr.384 (Do 2/3 1932).<br />
295 StLA L.Reg. K.678: Gr.384 (GPK E.Nr.5752, 22.8.1932).<br />
296 StLA L.Reg. K.678: Gr.384 (GPK E.Nr.3751, 19.5.1932).