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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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Vorwort<br />

Dieses Buch basiert auf meiner im April 2010 approbierten Dissertation, deren<br />

Erforschung <strong>und</strong> Fertigstellung r<strong>und</strong> vier Jahre in Anspruch nahmen. Die Idee zum<br />

eigentlichen Thema entstand aus dem Interesse für die eigene Familiengeschichte,<br />

genauer gesagt für die „Geschichten“ meiner Mutter, die ihre Kindheit in der Ersten<br />

Republik verlebte. Ihren Erinnerungen, die sich um jene ihres Fre<strong>und</strong>eskreises<br />

erweiterten, ist es zu verdanken, dass ich schon sehr früh von dem harten <strong>und</strong><br />

entbehrungsreichen Kinderleben in der Familie eines lange Zeit arbeitslosen Druckereiarbeiters<br />

erfuhr. Die von meiner Mutter zum Besten gegebenen Anekdoten<br />

rankten sich um die Liebe zu der Mutter <strong>und</strong> den Geschwistern, die Angst vor<br />

dem jähzornigen Vater, um das Arbeitenmüssen trotz Hungers, aber auch um liebe<br />

Nachbarn, Kinderfre<strong>und</strong>schaften <strong>und</strong> freies <strong>und</strong> lustiges Spielen in der Natur. Dies<br />

alles eingebettet in eine beschauliche Vorstadtgemeinde, die von den seinerzeitigen<br />

scharfen politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Konflikten nicht verschont wurde. In der<br />

kleinräumigen Nachbarschaft wusste jeder über jeden Bescheid. Ob man „schwarz“<br />

oder „rot“ war, konnte vielfach an den kulturellen Aktivitäten abgelesen werden. Zu<br />

den „Bekenntnissen“ gehörten beispielsweise der Kirchgang, der Besuch einer Bastelst<strong>und</strong>e<br />

bei den „Kinderfre<strong>und</strong>en“ oder der Einkauf beim „Konsum“. Was vielen<br />

Erwachsenen als unüberwindliche Hürde erscheinen musste, spielte glücklicherweise<br />

für meine Mutter <strong>und</strong> ihre Geschwister keine Rolle. Das beweisen die in den Wirren<br />

der Ersten Republik dauerhaft geschlossenen Fre<strong>und</strong>schaften mit Kindern aus<br />

politisch anders gesinnten Familien.<br />

Mir, die ich in einer Zeit des Wohlstandes <strong>und</strong> des demokratischen Konsenses aufwuchs,<br />

schienen die Kindheitserlebnisse der Mutter aus einer längst versunkenen<br />

Welt zu stammen. Erst Jahre später merkte ich, dass die politischen Demarkationslinien<br />

der Zwischenkriegszeit nicht gänzlich verschw<strong>und</strong>en waren, sondern vielfach<br />

in anderen Formen weiter existierten. Das Bedürfnis, diesen Spuren zu folgen <strong>und</strong><br />

mehr über das politische Vermächtnis der Ersten Republik zu erfahren, führte mich<br />

auf eine lange Reise in die Vergangenheit, deren Ergebnisse in dieser Arbeit vorliegen.<br />

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