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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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192<br />

5.1.5.3 Wegen „politischer Differenzen“ wird ein Arbeiter krankenhausreif geprügelt<br />

Gegen Ende August 1928 ereignete sich der nächste schwere Zusammenstoß im<br />

Gasthaus Patschnig in Hinterberg bei Leoben – <strong>und</strong> wieder war ein Heimatschutz-<br />

Hut im Spiel. Laut Behördenbericht gerieten die Brüder Moser, beide Arbeiter <strong>und</strong><br />

Angehörige des Heimatschutzes, wegen „politischer Meinungsverschiedenheiten“<br />

mit mehreren sozialdemokratisch gesinnten Arbeitern in einen Streit. Als einem<br />

dort anwesenden Heimatschützer auch noch der Hut zu Boden geworfen wurde,<br />

eskalierte der Konflikt, so dass es zu einem Handgemenge kam, das vorerst glimpflich<br />

endete. Die Männer verließen das Gasthaus <strong>und</strong> setzten den Streit im Hof fort. Dabei<br />

wurde der sozialdemokratische Arbeiter Paul Katzl von den Brüdern Moser sowie<br />

von einem dritten Heimatschützler brutal überfallen <strong>und</strong> mit Holzscheiten derart<br />

schwer verletzt, dass er mit der Rettung ins Krankenhaus nach Leoben gebracht<br />

werden musste. Die Täter kümmerten sich jedoch nicht um den Verletzten, sondern<br />

traten ihren Schichtdienst in der nahen Papierfabrik in Hinterberg an, wo sie wenig<br />

später von Wachebeamten ausgeforscht <strong>und</strong> festgenommen wurden. Inzwischen<br />

hatte sich eine aufgebrachte Menge vor den Toren der Fabrik angesammelt, so dass<br />

die Gendarmeriebeamten die beiden Brüder in Schutzhaft nehmen mussten, um<br />

sie vor drohender Lynchjustiz zu bewahren. Beinahe wäre es zu einem weiteren<br />

Unglück gekommen, als die empörten Arbeiter sich daran machten, an dem dritten<br />

Täter, Karl H., der sich im so genannten Burschenhaus versteckt hielt, Rache zu<br />

üben. Schließlich gelang es der Exekutive, den Mann zu stellen <strong>und</strong> in Sicherheit<br />

zu bringen. Damit war die Krise aber noch nicht zu Ende. Die <strong>Gewalt</strong>tat der drei<br />

Heimatschützler provozierte weitere Protestmaßnahmen der Hinterberger Arbeiter<br />

<strong>und</strong> ihrer Frauen. Als der Betriebsleiter die von der Belegschaft geforderte Entlassung<br />

der Verhafteten am nächsten Morgen verweigerte, wurde die Fabrik gestürmt<br />

<strong>und</strong> eine sofortige Betriebseinstellung verlangt, was auch geschah. Erst am späten<br />

Abend, als sich die Wogen einigermaßen geglättet hatten, nahmen die Arbeiter den<br />

Schichtbetrieb im Einvernehmen mit der Direktion wieder auf. 625<br />

5.1.5.4 Eine Friedensbotschaft in Kapfenberg<br />

Etwa vierzehn Tage vor dem von der Regierung Seipel forcierten Auftritt der Heimwehren<br />

in Wiener Neustadt am 7. Oktober 1928 traf der B<strong>und</strong>eskanzler persönlich in<br />

einer sozialdemokratischen Bastion des obersteirischen Industriegebietes ein. In der<br />

Böhlerstadt Kapfenberg feierte die dortige Ortsgruppe des Reichsb<strong>und</strong>es der katholischen<br />

Jugend ihre Fahnenweihe im Rahmen eines großangelegten Jugendtreffens, zu<br />

welcher außer dem Regierungschef auch Spitzen der Wirtschaft <strong>und</strong> Politik geladen<br />

waren. Nachdem Seipel höchstpersönlich die Weihe der Fahne vorgenommen hatte,<br />

sprach er zu den in den Räumen des Werkshotels versammelten Festgästen folgende<br />

denkwürdigen Worte:<br />

625 StLA ZGS (BKA) K.74/1 (Fol. 107–109).

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