Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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5.1.5.3 Wegen „politischer Differenzen“ wird ein Arbeiter krankenhausreif geprügelt<br />
Gegen Ende August 1928 ereignete sich der nächste schwere Zusammenstoß im<br />
Gasthaus Patschnig in Hinterberg bei Leoben – <strong>und</strong> wieder war ein Heimatschutz-<br />
Hut im Spiel. Laut Behördenbericht gerieten die Brüder Moser, beide Arbeiter <strong>und</strong><br />
Angehörige des Heimatschutzes, wegen „politischer Meinungsverschiedenheiten“<br />
mit mehreren sozialdemokratisch gesinnten Arbeitern in einen Streit. Als einem<br />
dort anwesenden Heimatschützer auch noch der Hut zu Boden geworfen wurde,<br />
eskalierte der Konflikt, so dass es zu einem Handgemenge kam, das vorerst glimpflich<br />
endete. Die Männer verließen das Gasthaus <strong>und</strong> setzten den Streit im Hof fort. Dabei<br />
wurde der sozialdemokratische Arbeiter Paul Katzl von den Brüdern Moser sowie<br />
von einem dritten Heimatschützler brutal überfallen <strong>und</strong> mit Holzscheiten derart<br />
schwer verletzt, dass er mit der Rettung ins Krankenhaus nach Leoben gebracht<br />
werden musste. Die Täter kümmerten sich jedoch nicht um den Verletzten, sondern<br />
traten ihren Schichtdienst in der nahen Papierfabrik in Hinterberg an, wo sie wenig<br />
später von Wachebeamten ausgeforscht <strong>und</strong> festgenommen wurden. Inzwischen<br />
hatte sich eine aufgebrachte Menge vor den Toren der Fabrik angesammelt, so dass<br />
die Gendarmeriebeamten die beiden Brüder in Schutzhaft nehmen mussten, um<br />
sie vor drohender Lynchjustiz zu bewahren. Beinahe wäre es zu einem weiteren<br />
Unglück gekommen, als die empörten Arbeiter sich daran machten, an dem dritten<br />
Täter, Karl H., der sich im so genannten Burschenhaus versteckt hielt, Rache zu<br />
üben. Schließlich gelang es der Exekutive, den Mann zu stellen <strong>und</strong> in Sicherheit<br />
zu bringen. Damit war die Krise aber noch nicht zu Ende. Die <strong>Gewalt</strong>tat der drei<br />
Heimatschützler provozierte weitere Protestmaßnahmen der Hinterberger Arbeiter<br />
<strong>und</strong> ihrer Frauen. Als der Betriebsleiter die von der Belegschaft geforderte Entlassung<br />
der Verhafteten am nächsten Morgen verweigerte, wurde die Fabrik gestürmt<br />
<strong>und</strong> eine sofortige Betriebseinstellung verlangt, was auch geschah. Erst am späten<br />
Abend, als sich die Wogen einigermaßen geglättet hatten, nahmen die Arbeiter den<br />
Schichtbetrieb im Einvernehmen mit der Direktion wieder auf. 625<br />
5.1.5.4 Eine Friedensbotschaft in Kapfenberg<br />
Etwa vierzehn Tage vor dem von der Regierung Seipel forcierten Auftritt der Heimwehren<br />
in Wiener Neustadt am 7. Oktober 1928 traf der B<strong>und</strong>eskanzler persönlich in<br />
einer sozialdemokratischen Bastion des obersteirischen Industriegebietes ein. In der<br />
Böhlerstadt Kapfenberg feierte die dortige Ortsgruppe des Reichsb<strong>und</strong>es der katholischen<br />
Jugend ihre Fahnenweihe im Rahmen eines großangelegten Jugendtreffens, zu<br />
welcher außer dem Regierungschef auch Spitzen der Wirtschaft <strong>und</strong> Politik geladen<br />
waren. Nachdem Seipel höchstpersönlich die Weihe der Fahne vorgenommen hatte,<br />
sprach er zu den in den Räumen des Werkshotels versammelten Festgästen folgende<br />
denkwürdigen Worte:<br />
625 StLA ZGS (BKA) K.74/1 (Fol. 107–109).