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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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NS-Regime. 297 Neben der agitatorischen Tätigkeit auf offener Straße verfolgten<br />

die Kommunisten auch das Ziel der politischen Bildung ihrer Gefolgschaft. Ende<br />

1932 registrierten die Behörden die Rückkehr des Ehepaares Wegerer von einem<br />

Schulungsaufenthalt in Russland in der Erwartung, die kommunistische Bewegung<br />

in Leoben werde nun eine weitere „Belebung“ erfahren. Auch Frau Wegerer,<br />

hieß es, sei geschult worden <strong>und</strong> halte der Jungfront Vorträge über Russland. 298 Zu<br />

einem tragikomischen Zwischenfall kam es laut Behördenbericht im Februar 1933,<br />

als zwei Arbeitslose aus Donawitz <strong>und</strong> Leoben im Rahmen einer von Karl Durstmüller<br />

einberufenen Versammlung von ihren Erlebnissen in Russland erzählen<br />

sollten. Die beiden Männer schilderten ihre Wahrnehmungen jedoch nicht im<br />

Sinne Durstmüllers <strong>und</strong> der KPÖ, sondern berichteten im Gegenteil von den<br />

„fürchterlichen Terrorzuständen“, die dort herrschten, wo sich keiner „auch nur<br />

im geringsten gegen das bestehende System muksen“ dürfe, sonst „verschwindet<br />

er auf unerklärliche Weise“. Auch die Wohnungs-, Kleider- <strong>und</strong> Lebensverhältnisse<br />

seien unbeschreiblich, behaupteten sie. Schließlich erklärten die Beiden, es<br />

gehe einem arbeitslosen Österreicher, der im Bezug der staatlichen Unterstützung<br />

stehe, viel besser als dem vollbeschäftigten Arbeiter in Russland. Die Versuche<br />

Durstmüllers das Dargelegte zu relativieren mit dem Hinweis, Russland sei eben<br />

ein großes Land <strong>und</strong> in anderen Gegenden wäre die Situation glänzend, schlugen<br />

fehl. Er vermochte nicht das eben Gehörte zu übertünchen; so gingen die Versammelten<br />

in gedrückter Stimmung auseinander. 299<br />

Nach dem Wahlsieg Hitlers am 5. März 1933 verstärkte die KPÖ ihre Agitation<br />

in der gesamten Industrieregion: In Leoben etwa wurde wiederholt gegen<br />

den Nationalsozialismus demonstriert, wobei sich insbesondere Durstmüller mit<br />

Parolen wie „Hitler verrecke“ hervortat. Die Behörde überlegte sogar, Durstmüller<br />

wegen Beleidigung eines ausländischen Regierungsmitgliedes festzunehmen,<br />

ließ dann doch davon ab, da die „Reziprozität mit Bezug auf Deutschland bisher<br />

nicht festgestellt werden konnte“. Dass sich erbitterte Gegner im Angesicht<br />

eines gemeinsamen „Feindes“ gegebenenfalls zusammenfinden, sollte sich bald<br />

bewahrheiten. Am 15. März hielten Leobener Kommunisten <strong>und</strong> Nationalsozialisten<br />

gemeinsam eine K<strong>und</strong>gebung gegen die Regierung Dollfuß ab, gerieten jedoch<br />

bald in Streit. Auch am 25. <strong>und</strong> am 28. März kam es zu neuerlichen „gemeinsamen“<br />

Versammlungen der gegnerischen Parteien vor der Montanistischen Hochschule,<br />

wobei die Nazis gegen Dollfuß, die Kommunisten gegen Hitler demonstrierten.<br />

Als neuerliche Tumulte befürchtet wurden, schritt abermals die Gendarmerie mit<br />

gefälltem Bajonett ein <strong>und</strong> „säuberte“ die Straßen. Und auch in Bruck an der Mur<br />

überstürzten sich die Ereignisse: Dort rief die örtliche KPÖ zum Widerstand gegen<br />

den autoritären Kurs der Regierung Dollfuß <strong>und</strong> die von ihr geplanten Beschnei-<br />

297 Karl Stocker (Hrsg.), Geschichtswerkstatt Leoben, Leben <strong>und</strong> Arbeiten im Bezirk Leoben (Wien/<br />

Köln 1989) S. 17–23; siehe auch die Lebenserinnerungen von Franz Schick: Gestohlene Jugend.<br />

Die Tagebücher <strong>und</strong> Aufzeichnungen des Franz Schick 1930 bis 1933, bearbeitet <strong>und</strong> mit einem<br />

Nachwort versehen (=Schriftenreihe des Instituts für Geschichte 4, Graz 1991).<br />

298 StLA L.Reg. K.678: Gr.384 (Schu2/1932 „Schutzb<strong>und</strong> Republikanischer, Wahrnehmungen“).<br />

299 StLA ZGS (BKA) K.80/7 (LGK E.Nr.96 res. 16.3.1933 „komm. Bewegung im Feber 1933“).<br />

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