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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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22<br />

Der Begriff „politische <strong>Gewalt</strong>“ bedarf im Kontext dieser Arbeit noch einer<br />

gr<strong>und</strong>sätzlichen Differenzierung. Hierbei handelt es sich einerseits um die Bedeutung<br />

von „politisch“ als etwas Öffentliches, die Allgemeinheit betreffend, im Gegensatz zu<br />

„privat“; andererseits um „<strong>Gewalt</strong>“ (engl. violence) die hier als politisch motivierte<br />

<strong>Gewalt</strong>tätigkeit <strong>und</strong> nicht als Herrschaft (engl. power), staatliche Macht oder Amtsgewalt<br />

interpretiert werden soll. Eine für die im Sinne der hier vorliegenden Arbeit<br />

angemessene Definition hat Dirk Schumann in seiner Publikation über politische<br />

<strong>Gewalt</strong> in der Weimarer Republik ausformuliert. Demnach ist die politische <strong>Gewalt</strong><br />

„Ausübung physischen Zwangs, die prinzipiell kollektiv geschieht, sich sowohl auf<br />

Sachen wie auch auf einzelne Menschen oder auf Gruppen richten kann <strong>und</strong> deren<br />

Akteure in dem Objekt, auf das sie zielen, zugleich das politische System als ganzes<br />

oder als gegnerisch verstandenes politisches Konzept zu treffen versuchen“. 20 Im Folgenden<br />

biete ich keine umfassende Analyse des Phänomens <strong>Gewalt</strong> an, sondern greife<br />

lediglich einige interessante Interpretationen aus der bisherigen <strong>Gewalt</strong>forschung auf:<br />

• Eine der bekanntesten Theorien ist jene der indirekten „strukturellen“ <strong>Gewalt</strong> des<br />

norwegischen Friedensforschers Johan Galtung, die er neben der direkten „personalen“<br />

<strong>Gewalt</strong> auch als „soziale Ungerechtigkeit“ definierte. Galtungs Theorie<br />

schließt aber auch andere Formen der <strong>Gewalt</strong> mit ein, wie Revolution, Krieg <strong>und</strong><br />

Geiselnahme, aber auch wirtschaftliche Ausbeutung. 21 Die Frustrations-Aggressions-Theorie,<br />

die ebenfalls in den frühen 1970er Jahren Bedeutung erlangte,<br />

besagt, dass der Mensch auf Versagungen mit Aggressionen antworten kann,<br />

wobei die Aggression eine zerstörerische Form annimmt, wenn vitale Interessen<br />

des Individuums vereitelt werden. In dem weiterführenden Ansatz „Aggression<br />

als Reaktion“ wird die These vertreten, dass „Aggression nicht nur als Reaktion<br />

auf eine Versagung gewählt wird, sondern die allgemein gängige Reaktionsform<br />

in einer Gesellschaft ist, in der versteckte oder auch ungeniert hemdsärmelige<br />

<strong>Gewalt</strong> stets mit einer Prämie belohnt wird“. 22 Eine rein theoretische Verknüpfung<br />

von indirekter „struktureller“ mit direkter, durch aggressive Reaktion hervorgerufener<br />

<strong>Gewalt</strong> könnte für die hier untersuchten Radikalismen relevant sein;<br />

insbesondere bietet dieser Ansatz eine hinreichende Erklärung für die Manifestation<br />

von <strong>Gewalt</strong> als legitimem Protest gegen allenfalls als ungerecht empf<strong>und</strong>ene<br />

staatliche <strong>und</strong> gesellschaftliche Strukturen. <strong>Gewalt</strong> wird von Verhaltensforschern<br />

als regressive Handlung bezeichnet, die meist dann eingesetzt wird, wenn das<br />

Lösen eines Konfliktes mittels rationaler Überlegungen versagt: In einer solchen<br />

Situation wird eben auf eine „Urform“ des menschlichen Verhaltens zurückgegriffen.<br />

Die Forschung hat festgestellt, dass bandenmäßig organisierte <strong>Gewalt</strong><br />

20 Dirk Schumann, Politische <strong>Gewalt</strong> in der Weimarer Republik 1918–1933. Kampf um die Straße<br />

<strong>und</strong> Furcht vor dem Bürgerkrieg (=Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen 17,<br />

Schriftenreihe A: Darstellungen, Essen 2001) S. 16.<br />

21 Johan Galtung, <strong>Gewalt</strong>, Frieden <strong>und</strong> Friedensforschung. In: Dieter Senghaas (Hrsg.), Kritische<br />

Friedensforschung (Frankfurt am Main 1972) S. 55–104.<br />

22 Ewald Englert, Zur Sozialpsychologie der <strong>Gewalt</strong>. In: Eduard Kroker (Hrsg.), Die <strong>Gewalt</strong> in<br />

Politik, Religion <strong>und</strong> Gesellschaft (Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1976) S. 205–207.

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