Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

welchem die sozialdemokratische Arbeiterschaft in allen Lebensbereichen organisiert
werden sollte. 200 Gleichsam als Gegenentwurf zu einer vom Kapitalismus
beherrschten Gesellschaft, allerdings von einem durchaus bürgerlichen Bildungsideal
getragen, entstanden zahlreiche Theater- und Gesangsrunden, Turnvereine,
Radfahrer- und Jugendgruppen, Fischerei- und Kleintiervereine in den Bereichen
Politik und Wirtschaft, Familie und Freizeit sowie Sport und Volkskultur. 201 Viele
Arbeiterfamilien, auch jene, die abseits der größeren Industriezentren in kleineren
Orten wie St. Michael, Vordernberg, St. Peter-Freienstein und Niklasdorf lebten,
hatten sich von der gemeinschaftlichen und ganzheitlichen Idee des Sozialismus
begeistern lassen. Nun verloren sie ihre geistige Heimat; für viele brach damit eine
Welt zusammen.
4.1.2 Sozialdemokratische Tätigkeit in der Steiermark bis 1934
Nach dem Ersten Weltkrieg hatten Vertreter der Sozialdemokratie entscheidenden
Anteil am Wiederaufbau der Landesverwaltung und der Organisation des parteipolitischen
Lebens in der Steiermark. Am 6. November 1918 bestellte die provisorische
Landesversammlung den Sozialdemokraten Josef Pongratz neben Anton Rintelen
(CSP) zum Landeshauptmannstellvertreter der provisorischen Landesregierung
unter Landeshauptmann Wilhelm von Kaan. Als Wirtschaftskommissar fungierte
der Sozialdemokrat Arnold Eisler neben Viktor Wutte (CSP) und dem Bauernvertreter
Franz Hagenhofer. Hans Resel, gebürtiger Niederösterreicher und Begründer des
„Arbeiterwillen“ in Graz, war erster Obmann der Sozialdemokratischen Partei der
Steiermark. In den Umsturztagen 1918 gestaltete Resel als Vorstand des Wohlfahrtsausschusses
und, gemeinsam mit August Einspinner und Franz Huber, als Militärbevollmächtigter
die Geschicke des Landes. Ab 1925 folgte ihm Reinhard Machold
als Landesparteiobmann nach. Machold prägte den besonnenen Führungsstil der
Partei bis zu ihrem Verbot im Februar 1934 und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg
im Mai 1945 zum provisorischen Landeshauptmann der Steiermark bestellt. 202 Nach
den Landtagswahlen am 11. Mai 1919 endete die provisorische Zusammenarbeit der
drei politischen „Lager“ und unter dem neuen Landeshauptmann Anton Rintelen
wurde Josef Pongratz neben Viktor Wutte abermals Landeshauptmannstellvertreter.
Pongratz, der gleichzeitig Landesparteivorsitzender der SDAP in der Steiermark
war, behielt dieses Amt bis zu seinem Ausscheiden aus der Landesregierung im Jahr
1930. 203 In der III. Landtagsperiode von 1927 bis 1930 stellten die Sozialdemokraten
200 Kriechbaumer, Politische Kultur S. 368: Der Autor zitiert Otto Bauer: Der Arbeiter wird mit seinem
ganzen Sein, keineswegs nur mit seinem politischen und wirtschaftlichen Interesse, von unserer
Bewegung erfasst; (…) auch seine Klassenideologie und jede Stufe ihrer Entwicklung muß in der
lebendigen Wirklichkeit unserer Bewegung ihren Ausdruck finden.
201 MC/AL Gemeindearchiv Donawitz, Sch.10, Akten Nr.127–137 (Zl.14so15/2).
202 Heinz Mang, Steiermarks Sozialdemokraten im Sturm der Zeit (Graz 1988), Kurzzitat: Mang,
Sturm der Zeit, S. 228–233; 142–147.
203 Mang, Sturm der Zeit, S. 209
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