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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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Gut is’ gangen, nix is g’schehn! sagt der Volksm<strong>und</strong>: Angesichts der für die „Belagerung“<br />

der Stadt entstandenen Kosten stellt der Redakteur der „Neuen Freien<br />

Presse“ im Feuilleton erleichtert fest, es sei zunächst ein Glück für alle, dass kein<br />

einziger Tropfen Blut geflossen war. Bei nüchterner Betrachtung jedoch zeige sich<br />

der Wahnsinn in seiner ganzen tragischen Dimension: Wenn man bedenkt <strong>und</strong><br />

überlegt, wie grotesk <strong>und</strong> phantastisch es eigentlich war <strong>und</strong> ist, daß h<strong>und</strong>erttausende<br />

Menschen, Söhne desselben Volkes, Bürger desselben Staates, von den gleichen<br />

politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Nöten einer schweren <strong>und</strong> harten Zeit bedrückt, an<br />

einem Sonntag (…) nichts Besseres zu tun wissen, als gegeneinander die Fäuste zu<br />

ballen. Der viel strapazierte Wunsch nach Frieden sei ein bloßes Lippenbekenntnis,<br />

meint Herr Kisch resignierend, wenn politische Gegner, am selben Ort versammelt,<br />

aneinander vorbei, anstatt zueinander redeten. Seine Gedanken zum Tag schließt<br />

er mit der prophetischen Befürchtung, der „Spuk“ vom 7. Oktober könnte doch zur<br />

„grausen Wirklichkeit“ werden. 630<br />

5.1.5.6 Und wieder der Hut …<br />

Dass die Wirklichkeit längst „graus“ geworden war, konnte man am politischen<br />

Stimmungsbarometer in der obersteirischen Industrieregion leicht ablesen. Nicht<br />

lange nach Wiener Neustadt spitzte sich die Lage in der Brauereigemeinde Göß zu,<br />

als sich Angehörige des Heimatschutzverbandes <strong>und</strong> nicht näher definierte „Marxisten“<br />

in die Haare gerieten. Laut Bericht des örtlichen Gendarmeriepostens hatten<br />

sich die Fälle in den Wochen zuvor gehäuft, in denen Mitglieder der Heimatschutz-<br />

Ortsgruppe Göß von sozialdemokratischen Arbeitern wegen Tragens des Heimatschutz-Hutes<br />

angepöbelt <strong>und</strong> tätlich angegriffen worden waren. Die Ortsgruppe<br />

beschloss daher, am 15. November einen Kameradschaftsabend zu veranstalten, um<br />

vor aller Augen zu demonstrieren, dass die gegnerische Taktik der Einschüchterung<br />

<strong>und</strong> Provokation auf keinen Fall mehr geduldet würde. Wie den Aufzeichnungen<br />

der Exekutive zu entnehmen ist, hatte der Kameradschaftsabend offenbar eher eine<br />

Alibifunktion, um die gegnerischen Demonstranten, die sich vor dem Eingang des<br />

Hotels „Gösserbräu“ versammelt hatten, herauszufordern. Schon gegen 18 Uhr hatten<br />

„nicht-ansässige Marxisten“, die sich im Ort <strong>und</strong> im Bereich der Brauerei herumtrieben,<br />

die Aufmerksamkeit der Gendarmerie erregt. Als um 20 Uhr etwa 150 Mitglieder<br />

des Leobener Heimatschutzes <strong>und</strong> kurze Zeit später jene aus Donawitz vor dem<br />

Versammlungslokal eintrafen, wurden sie von den etwa 150 bis 200 Neugierigen mit<br />

Pfiffen, „Pfui“- <strong>und</strong> „Fre<strong>und</strong>schaft“-Rufen geschmäht. Im Nu flogen die Fäuste, so<br />

dass die dort anwesenden Gendarmeriebeamten energisch einschreiten mussten, um<br />

die Raufenden zu trennen. Dabei wurde ein sozialdemokratischer Gemeindearbeiter<br />

von einem Heimatschützler derart verdroschen, dass er ins Krankenhaus gebracht<br />

werden musste. Nach einer kleinen Pause versammelte sich erneut eine erregte Menge<br />

vor dem Hotel, wo sich bald mehr sensationsgierige Anhänger des Heimatschutzes<br />

630 Momentbilder vom 7. Oktober. In: Neue Freie Presse (8.10.1928) S. 1–3.<br />

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