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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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Deckung der Schulden beantragt <strong>und</strong> im Juli 1932 von B<strong>und</strong>eskanzler Dollfuß unterzeichnet.<br />

Da die Anleihe erneut mit einem Anschlussverbot gekoppelt war, kündigten<br />

die Großdeutschen die Regierungsarbeit mit den Christlichsozialen auf. Dollfuß, der<br />

seit seinem Amtsantritt im Mai 1932 nur mit der hauchdünnen Mehrheit von einer<br />

Stimme im Parlament rechnen konnte, suchte daher zunehmend nach autoritären<br />

Alternativen, um seine schwankende Regierungsmacht zu erhalten <strong>und</strong> die von der<br />

Opposition verlangten Neuwahlen zu verhindern. Die Landtags- <strong>und</strong> Gemeindewahlen<br />

im April 1932 hatten deutlich gezeigt, dass die NSDAP auf ihrem Weg von einer Kleinpartei<br />

zu einer mächtigen Bewegung die politische Gewichtung in Österreich gehörig<br />

verschoben hatte. 66 Die Schulden wuchsen bis 1933 auf r<strong>und</strong> 1,2 Milliarden Schilling<br />

(13,5 Prozent des Sozialproduktes) weiter an. Zur Schuldenlast kamen der Preisverfall,<br />

die Absatzkrise <strong>und</strong> die vorgeschriebenen Beiträge zur Landwirtschaftskrankenkasse.<br />

Exekutionen <strong>und</strong> Zwangsversteigerung standen bald auf der Tagesordnung. 67 Viele<br />

kleinere Bauern verarmten, manche verloren ihr gesamtes Hab <strong>und</strong> Gut. Auch für die<br />

Industrie war die Zeit zwischen 1923 <strong>und</strong> 1929 zu kurz, um bestehende Strukturmängel<br />

nachhaltig auszugleichen; die Eisen- <strong>und</strong> Stahlproduktion sank von 1928 bis 1933<br />

auf ein Siebentel. Das Heer der Arbeitslosen wuchs stetig an <strong>und</strong> erreichte 1933 einen<br />

Spitzenwert von beinahe 600.000 (= 27,2 Prozent der Erwerbstätigen), die Dunkelziffer<br />

derjenigen, die keinen Anspruch auf Unterstützung hatten, sowie die Ausgesteuerten<br />

nicht mitgezählt. 68 Immerhin kam es von Seiten der Sozialdemokratie zu interessanten<br />

Denkmodellen: Mit dem Dokument „Arbeit für 200.000“ wurde im Sommer 1933<br />

ein Arbeitsbeschaffungsprogramm vorgestellt, das zusätzliche Arbeitsplätze durch<br />

eine Arbeitszeitverkürzung von 48 auf 40 St<strong>und</strong>en schaffen <strong>und</strong> mit Mitteln aus der<br />

Lausanner Anleihe finanziert werden sollte. 69 Die von der Regierung ab 1934 initiierten<br />

Arbeitsbeschaffungsprogramme verursachten zwar erkleckliche Budgetdefizite, dafür<br />

fanden bis zu 10 Prozent der Arbeitslosen eine wenigstens vorübergehende Beschäftigung.<br />

70 Diese scheinbare Hinwendung zu arbeitspolitischen Maßnahmen diente aber<br />

in erster Linie dazu, der nationalsozialistischen Propaganda, die in schärfster Weise<br />

„das System“ bekämpfte, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Angesichts des expansiven<br />

Wirtschaftskurses in Hitler-Deutschland gilt die Unfähigkeit des autoritären<br />

Regimes mit den Konjunktur- <strong>und</strong> Beschäftigungsproblemen fertigzuwerden als eine<br />

der wesentlichen Ursachen für dessen relativ geringe Popularität in Österreich. 71<br />

66 Goldinger/Binder, Österreich, S. 195–198.<br />

67 Sandgruber, Ökonomie <strong>und</strong> Politik, S. 367–370. Laut Butschek habe die Landwirtschaft ihre<br />

Wertschöpfung bis 1929 gegenüber 1913 sogar um 10 Prozent steigern können, dabei soll es allerdings<br />

durch Überschüsse auf dem Weltmarkt zu einem Preisverfall gekommen sein. Um den<br />

inländischen Agrarmarkt vor der Krise zu schützen, verfolgten die Regierungen fortan einen so<br />

genannten „Agrarkurs“, eine Politik der Schutzzölle <strong>und</strong> Subventionierung der heimischen Bauern<br />

[Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert (Wien 1985) S. 52–53].<br />

68 Goldinger/Binder, Österreich, S. 129ff; Butschek, Arbeiterkammer S. 41.<br />

69 Sandgruber, Ökonomie <strong>und</strong> Politik, S. 388–393; Rosner, Die ewige Krise, 292, 364–372.<br />

70 Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert (Wien 1985), Kurzzitat: Butschek,<br />

Wirtschaft, S. 56.<br />

71 Fritz Weber, Staatliche Wirtschaftspolitik in der Zwischenkriegszeit. Zum Investitionsverhalten<br />

der öffentlichen Hand 1918–1938. In: Tálos/Dachs, P.S. Ö S. 548–549.

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