Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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Sozialdemokraten durch hartnäckige Zwischenrufe zu stören. Aus dem Bericht<br />
der Staatsanwaltschaft Leoben geht hervor, dass Scharitzer trotz Redeverbot des<br />
Veranstalters den Gastredner mit fortlaufenden Zwischenrufen unterbrach, was<br />
einige Sozialdemokraten zunehmend in Rage versetzte. Bei den darauf folgenden<br />
Handgreiflichkeiten wurden 15 Nationalsozialisten <strong>und</strong> ein Sozialdemokrat verletzt.<br />
Unter den Verletzten befand sich auch der um Vermittlung bemühte Gastwirt<br />
Ressmann, dessen Einrichtung zum Teil zertrümmert wurde. Der Staatsanwalt<br />
beantragte die Bestrafung von Scharitzer sowie drei Rauflustigen, die ihre „Gesinnungsgegner“<br />
mit Stahlruten, Ochsenziemern, Bierkrügen <strong>und</strong> Sesseln schwer<br />
verletzt hatten. 558<br />
Im Verlauf der Wahlkampagnen im April 1932 rollte eine neuerliche Welle<br />
gewalttätiger Konfrontationen zwischen Kommunisten, Sozialdemokraten <strong>und</strong><br />
Nationalsozialisten heran, die nur durch das energische Einschreiten der Exekutive<br />
zu bändigen waren. In Leoben wurden zwei Nationalsozialisten, einer davon auf<br />
Krücken gehend, von einigen jugendlichen Sozialdemokraten auf offener Straße<br />
niedergeschlagen. In der anschließenden Keilerei wurden mehrere Nationalsozialisten<br />
von Sozialdemokraten mit Zaunlatten <strong>und</strong> Gummiknüppeln niedergestreckt. 559<br />
Ob es sich bei jenem <strong>Gewalt</strong>akt um Vergeltung oder blinden Hass handelte, geht<br />
aus dem amtlichen Bericht nicht hervor. Bei Zusammenstößen mit jugendlichen<br />
Sozialdemokraten im September 1932 wurde der junge Nationalsozialist Josef Laß<br />
getötet <strong>und</strong> ein anderer, Paul Helle, schwer verletzt. Zuvor soll Laß seinen Angreifer,<br />
den Jungsozialisten Franz Truppe, von hinten mit einer Stahlrute attackiert haben. 560<br />
Das Begräbnis des „Blutzeugen“ Laß, das unter Beisein hoher NS-Funktionäre –<br />
Hitler ließ sich von Theo Habicht vertreten – stattfand, wurde zu einem dem Anlass<br />
entsprechenden Propagandaereignis hochstilisiert. 561<br />
4.5.6 Aktivitäten der NSDAP in Leoben. Ein Überblick<br />
In seiner Darstellung des Werdegangs der NSDAP im „Eisenbezirk“ zeichnet der<br />
frühe Nationalsozialist Josef Freudenthaler, wie nicht anders zu erwarten, das schicksalhafte<br />
Bild einer Organisation, die, getragen von dem „stramm-völkischen“ Empfinden<br />
<strong>und</strong> heroischen Tatendrang der Menschen im „südöstlichsten Grenzgau“,<br />
quasi zwangsläufig aus der Not <strong>und</strong> dem Elend der Nachkriegszeit geboren <strong>und</strong> durch<br />
das Auftreten des „gottgesandten Führers“ zur größten Bewegung, „die es je gegeben“,<br />
558 StLA Staatsanwaltschaft Leoben K.1 (1921–1947): „Tagebuch Scharitzer Karl & Gen., 5.7.1931“.<br />
559 StLA ZGS (BKA) K.78/5 (Fol.659): Bericht der Landesamtsdirektion (LaD) ans BKA, 3.5.1932.<br />
560 Parteigenossinnen <strong>und</strong> Parteigenossen von Leoben <strong>und</strong> Umgebung. In: Arbeiterwille (10.9.1932)<br />
S. 7.<br />
561 Josef Laß d. J. letzte Fahrt! In: Obersteirische Volkszeitung (13.9.1932) S. 4; Leobner Gemeinderat.<br />
In: Ebda. (24.9.32) S. 7: Die Bluttat hatte noch ein Nachspiel in der Trauersitzung des Gemeinderates,<br />
als Karl Cerha die Sozialdemokratie als „viehische Mordorganisation“ bezeichnete. Nach einem<br />
hitzigen verbalen Schlagabtausch verließen die sozialdemokratischen Mandatare aus Protest<br />
den Sitzungssaal.<br />
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