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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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194<br />

Neustadt aufmarschierten. Mit der moralischen <strong>und</strong> finanziellen Unterstützung der<br />

Regierung Seipel konnte die Heimwehr die Herrschaft der Sozialdemokratie über<br />

Wiener Neustadt in Frage stellen, ihr im „Kampf um die Straße“ eine Niederlage<br />

zufügen. Um diese „Schmach“ zu tilgen, veranstaltete der obersteirische Schutzb<strong>und</strong><br />

an demselben Tag einen Aufmarsch in Leoben, bei dem wichtige sozialdemokratische<br />

Führer wie Reinhard Machold <strong>und</strong> Koloman Wallisch versuchten, die Stimmung<br />

der „Daheimgebliebenen“ zu heben. In seiner Eröffnungsansprache bezeichnete<br />

Landesrat Machold das Eindringen der bürgerlichen Wehrformationen in die sozialdemokratische<br />

Domäne als eine ungeheure Provokation, als einen „Stich in das<br />

Herz des niederösterreichischen Arbeiters“. Der Aufmarsch der Heimwehr in Wiener<br />

Neustadt sei nichts anderes als eine Generalprobe für den „Marsch nach Wien“. Im<br />

Gegensatz zur Heimwehr, die den „Betriebsfaschismus“ aufgerichtet hatte, wollten<br />

die sozialdemokratischen Arbeiter nichts lieber als Frieden <strong>und</strong> Freiheit, versicherte<br />

Nationalrat Domes den r<strong>und</strong> 6000 versammelten Schutzbündlern. Die Heimwehr<br />

versuche die Arbeiterschaft mit „schuftigen Mitteln“ zu spalten <strong>und</strong> zu schwächen;<br />

er sei jedoch zuversichtlich, dass jene abspenstig gemachten Arbeiter bald in die<br />

Reihen der Sozialdemokratie zurückkehren würden, um zum Sieg des Sozialismus<br />

beizutragen. Um dieses Ziel zu erreichen, beschwor Schutzb<strong>und</strong>führer Köhler, seien<br />

Schutzbündler <strong>und</strong> Sozialdemokraten gegebenenfalls bereit, den Kampf bis zum<br />

letzten Blutstropfen zu führen <strong>und</strong> für ihre Ideale schließlich zu sterben. 628<br />

Wie nicht anders zu erwarten, wurden die Wiener Neustädter Ereignisse von der<br />

parteigelenkten Presse verschieden dargestellt. Die christlichsoziale „Reichspost“ berichtete,<br />

in Wiener Neustadt habe man keine Spur von den befürchteten Feindseligkeiten,<br />

dem „Spuk“, vernommen; weder Pfiffe noch Pfui-Rufe seien zu hören gewesen. Im<br />

Gegenteil: Die Bevölkerung habe die schmucken Heimwehrformationen mit Heil-Rufen<br />

begrüßt <strong>und</strong> bei ihrem Triumphzug durch die Stadt begeistert zugejubelt. Nach der<br />

Feldmesse <strong>und</strong> den bewegenden Ansprachen ihrer Führer habe man die Männer mit<br />

herzlichen Worten verabschiedet. Dort wo Schweigen herrschte, sei der Eindruck entstanden,<br />

so mancher Anhänger habe es nicht gewagt, seine Sympathie für die Heimwehr<br />

öffentlich zu zeigen. Aus sozialdemokratischer Perspektive hingegen war der Aufmarsch<br />

des Gegners nichts anderes als eine der Mehrheitsbevölkerung aufgezwungene Farce.<br />

Durch totenstille Gassen sei der einsame Zug der „Hahnenschwänzler“ marschiert. Der<br />

Hauptplatz habe zudem wegen der getroffenen Schutzmaßnahmen – Stacheldrahtverhaue<br />

<strong>und</strong> Maschinengewehre waren aufgestellt worden – einem düsteren Heerlager<br />

geglichen. Trotz der markigen Sprüche Steidles <strong>und</strong> Pfrimers war keine „rechte“ Stimmung<br />

aufgekommen. Nachdem der letzte Heimwehrmann pünktlich von der Bühne<br />

der sozialdemokratischen Hochburg abgetreten war, habe die Bevölkerung die Schutzbündler<br />

stürmisch begrüßt, mit Blumen beworfen <strong>und</strong> noch rasch Häuser <strong>und</strong> Straßen<br />

mit zusätzlichen Girlanden <strong>und</strong> Flaggen geschmückt. Die Menschen in Wiener Neustadt<br />

hätten den „Faschisten“ ja doch gezeigt, für welche Seite ihre Herzen schlugen. 629<br />

628 StLA ZGS (BKA) K.74/1 (Fol. 77–80); Aufmarsch des Republikanischen Schutzb<strong>und</strong>es. In: Leobener<br />

Zeitung (10.10.1928) S. 3.<br />

629 Das Ergebnis des 7. Oktober. In: Reichspost (8.10.1928) S. 1–3; Ein Triumph der Freiheit. In: Das<br />

Kleine Blatt (8.10.1928) S. 1–3.

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