Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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im Eingangsbereich aufhielten, als an der Veranstaltung teilnahmen. Den Exekutivbeamten<br />
blieb nichts anderes übrig, als zwischen Hotel <strong>und</strong> Straße einen Kordon zu<br />
ziehen. Als dennoch zwischen den nun alkoholisierten Gegnern <strong>und</strong> der Exekutive<br />
eine Auseinandersetzung wegen Ehrenbeleidigung entstand – ein Heimatschützler<br />
behauptete, sie seien mit „Lausbuben“ beschimpft worden – drohte die Situation abermals<br />
zu eskalieren. Eine Beruhigung trat erst ein, als der Gösser Bürgermeister Flatt<br />
<strong>und</strong> sozialdemokratische Funktionäre aus Leoben ernste Ermahnungen aussprachen.<br />
Am gefährlichsten schien die Lage, als sich die Heimatschützler anschickten, in<br />
Doppelreihen nach Hause zu marschieren; daher wurden die Zuschauer von der<br />
Gendarmerie solange zurückgehalten, bis die Heimatschutztruppen außer unmittelbarer<br />
Reichweite waren. Trotzdem gelang es etwa 50 Verfolgern, die von dannen<br />
Marschierenden einzuholen <strong>und</strong> ihnen im Flüsterton „Schweine“ zuzurufen. Wieder<br />
gelang es den vor Ort anwesenden Gendarmen, die Gegner auseinanderzuhalten <strong>und</strong><br />
eine weitere blutige Schlägerei zu vermeiden. 631<br />
5.1.5.7 Kapfenberg als Epizentrum der Unruhen<br />
Im letzten Jahr vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise konnte der Heimatschutzverband<br />
– auch dank in- <strong>und</strong> ausländischer Unterstützung – seinen „Siegeszug“<br />
fortsetzen. Der Leobener Bezirksgendarmeriekommandant Johann Erhart notierte<br />
in seiner Chronik, die Ortsgruppe Donawitz habe seit ihrer Gründung im Herbst<br />
1927 gewaltigen Zulauf verzeichnet <strong>und</strong> bereits 2600 Mitglieder, über 50 Prozent<br />
der gesamten „hiesigen Arbeiterschaft“, in ihre Reihen geholt. 632 In den Jahren 1928<br />
bis 1930 entwickelte sich jedoch nicht Leoben, sondern Kapfenberg <strong>und</strong> Umgebung<br />
zu einem Kristallisationspunkt gewalttätiger Vorfälle. In den allermeisten Fällen<br />
handelte es sich hierbei um organisierte Überfälle bei Versammlungen oder Aufmärschen<br />
(Steinwürfe, Hieb- <strong>und</strong> Stichwaffen, Faustfeuerwaffen) sowie um Provokationen<br />
einzelner oder kleinerer Gruppen auf offener Straße oder in Wirtshäusern<br />
(Raufhandel). Am emotionsgeladenen Tag der Arbeit 1929 wurde eine Autokolonne<br />
des Heimatschutzes, die von einer Störaktion in St. Marein im Mürztal heimwärts<br />
fuhr, auf dem Kapfenberger Hauptplatz von Mitgliedern des Republikanischen<br />
Schutzb<strong>und</strong>es überfallen <strong>und</strong> mit Steinen beworfen. Die „Neue Freie Presse“ berichtete,<br />
die Heimatschützler waren aus den Lastautos gezerrt <strong>und</strong> geschlagen worden.<br />
Während der anschließenden etwa halbstündigen Schlägerei seien insgesamt 19 Personen<br />
verletzt worden, darunter 17 Heimatschützler. Der Überfall der Schutzbündler<br />
sei ein Racheakt gewesen, hieß es, weil die Heimatschützler versucht hatten, den<br />
Auftritt des bei der „heimattreuen“ Bevölkerung verhassten Koloman Wallisch bei<br />
der Maifeier in St. Marein zu vermasseln. Die Kakophonie dreier Musikkapellen <strong>und</strong><br />
einiger Motorräder sollte die Festrede Wallisch’ übertönen. Die sozialdemokratische<br />
Korrespondenz behauptete, nicht die Heimatschützler, sondern die Schutzbündler<br />
631 StLA ZGS (BKA) K.74/1 (Fol. 56–61).<br />
632 Chronik des BGK Leoben, 1928.