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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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2.2 Ereignisse <strong>und</strong> Auswirkungen des 15. Juli 1927<br />

Die Vorgeschichte <strong>und</strong> die tragischen Folgen des so genannten Schattendorfer Prozesses<br />

sind in der historischen Literatur detailliert aufgearbeitet worden, so dass<br />

an dieser Stelle auf eine eingehende Darstellung verzichtet werden kann. 92 Am 30.<br />

Jänner 1927 war der kleine burgenländische Ort Schattendorf zum Schauplatz von<br />

gewalttätigen Ereignissen zwischen Mitgliedern der „Frontkämpfervereinigung<br />

Deutschösterreichs“ <strong>und</strong> des sozialdemokratischen Schutzb<strong>und</strong>es geworden. Drei<br />

Frontkämpfer hatten auf vorbeiziehende „Schutzbündler“ geschossen <strong>und</strong> dabei<br />

einen Kriegsinvaliden <strong>und</strong> ein Kind getötet. Am 14. Juli endete der Geschworenenprozess<br />

mit einem Freispruch für die Angeklagten, obwohl der Staatsanwalt auf<br />

schuldig wegen boshafter Gefährdung einer Menschenmenge plädiert hatte. Am<br />

nächsten Morgen erschien ein aufwühlender Leitartikel in der „Arbeiter-Zeitung“,<br />

der den Freispruch der „Arbeitermörder von Schattendorf“ leidenschaftlich anprangerte<br />

<strong>und</strong> vor dem daraus entstehenden Unheil warnte. 93 Um acht Uhr strömten<br />

bereits tausende Demonstranten aus den Vorstädten in die Wiener Innenstadt, um<br />

ihre Empörung k<strong>und</strong>zutun. Als der Justizpalast, eine Polizeiwache <strong>und</strong> die Redaktionszentrale<br />

des christlichsozialen Presseorgans „Reichspost“ bereits brannten <strong>und</strong><br />

die <strong>Gewalt</strong> der Demonstranten nicht eingedämmt werden konnte, schritt die Polizei<br />

auf Befehl des Polizeipräsidenten Schober mit Waffengewalt ein. Die traurige Bilanz:<br />

mehr als 90 Tote <strong>und</strong> h<strong>und</strong>erte Verletzte. Als Zeichen des Protestes rief die sozialistische<br />

Partei den Generalstreik aus. Jene Ausschreitungen des Juli 1927 können als<br />

Reaktion auf eine Reihe politischer Urteile gesehen werden, die von der Arbeiterschaft<br />

als „Klassenjustiz“, als bewusstes Unrecht der herrschenden Klassen gegen<br />

das Proletariat, gebrandmarkt wurde. 94 Der 15. Juli 1927 wurde zu einer der schwersten<br />

Prüfungen in der Geschichte der Ersten Republik. In der historischen Literatur<br />

wird diesem Tag ungeheure Bedeutung in seiner politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Dimension beigemessen. Zum einen schien der Bestand Österreichs selbst gefährdet:<br />

92 Eine Auswahl: Norbert Leser, Paul Sailer-Wlasits (Hrsg.), 1927 als die Republik brannte. Von<br />

Schattendorf bis Wien (Wien/Klosterneuburg 2001); Ludwig Jedlicka, Rudolf Neck (Hrsg.), Vom<br />

Justizpalast zum Heldenplatz (Festgabe der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor Körner.-<br />

Stiftungsfonds <strong>und</strong> des Leopold Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte<br />

der Jahre 1927 bis 1938, Wien 1975); Anson Rabinbach, Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg<br />

(Wien 1989); Gerhard Botz, <strong>Gewalt</strong> in der Politik. Attentate, Zusammenstösse, Putschversuche,<br />

Unruhen in Österreich 1918 bis 1934 (München 1976); Heinrich Drimmel, Vom Justizpalastbrand<br />

zum Februaraufstand. Österreich 1927–1934 (Wien/München 1986); Winfried Garscha, Barry<br />

McLoughlin, Wien 1927. Menetekel für die Republik (Berlin 1987).<br />

93 Die Mörder von Schattendorf freigesprochen. In: Arbeiter-Zeitung (15.07.1927) S. 1–2. Die Geschworenen<br />

werden als „ehrlose Gesetzesbrecher“ verdammt, die für ihren „schamlosen Freispruch“<br />

der „die ganze Rechtsprechung schändet“, den „Haß <strong>und</strong> Verachtung aller rechtlich denkenden<br />

Menschen“ verdient hätten. Denn mit diesem Freispruch seien Arbeiter quasi zum Freiwild<br />

der „Hakenkreuzler“ <strong>und</strong> „Frontkämpfer“ erklärt worden.<br />

94 Hans Hautmann, Klassenjustiz in der Ersten Republik. Referat auf der Veranstaltung der Alfred<br />

Klahr Gesellschaft 15. Juli 1927. „Das Polizeimassaker vor dem Justizpalast“ am 14. Juni<br />

2007 im Café Rathaus, http://www.klahrgesellschaft.at/Referate/Hautmann_Klassenjustiz.html,<br />

14.10.2009; Winfried Garscha, Barry McLoughlin, Wien 1927. Menetekel für die Republik (Berlin<br />

1987) S. 86–108.<br />

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