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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitnehmerinnen als Arbeit suchend vormerken ließen. 649<br />

Heute macht man sich keine Vorstellung davon, so eine Zeitzeugin, was es heißt,<br />

als Kind ständig den Schmerz des Hungers zu spüren, weil Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel<br />

wie Brot, Milch <strong>und</strong> Fett fehlen, oder wenn man mangels Heizmaterial, warmer<br />

Kleidung <strong>und</strong> Schuhwerk Erfrierungen erleidet. 650<br />

Das im Jahr 1920 geschaffene österreichische Arbeitslosenversicherungsgesetz,<br />

das die bereits nach dem Krieg eingeführte Arbeitslosenversicherung regeln sollte,<br />

war eines der fortschrittlichsten Sozialgesetze Europas. Die Beiträge zur Versicherung<br />

wurden anteilsmäßig vom Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitgeber eingehoben, sowie<br />

anfänglich zu einem geringeren Teil vom Staat aufgebracht. Bereits im Jahr 1920<br />

wurde eine Erweiterung der Unterstützungsdauer von 12 auf 30 Wochen beschlossen;<br />

1922 wurde eine außerordentliche Notstandsunterstützung für Unterstützungsbezieher<br />

nach 30 Wochen eingeführt, die in den meisten Fällen gewährt wurde.<br />

Diese Notstandsunterstützung erfuhr zwar eine zeitliche Einschränkung durch die<br />

Novelle im Jahr 1925, bei der nächsten Novelle wurde jedoch eine zeitlich unbegrenzte<br />

„außerordentliche Beihilfe“ für Langzeitarbeitslose eingeführt. 651<br />

In der obersteirischen Industrieregion, wo viele Menschen ihr Brot in der Eisen-<br />

<strong>und</strong> Stahlindustrie verdienten, sah die Lage entsprechend trist aus. Hatte im Jahr<br />

1928 weitgehende Vollbeschäftigung geherrscht, kam es bald zu Betriebsschließungen,<br />

Kurzarbeit <strong>und</strong> zahlreichen Entlassungen. Aufgr<strong>und</strong> der Absatzkrise musste<br />

die ÖAMG in den Jahren 1929 bis 1933 die Produktion von Metall <strong>und</strong> Metallprodukte<br />

zwischen 60 <strong>und</strong> 80 Prozent drosseln. Der Hochofen in Eisenerz wurde<br />

bereits im Dezember 1929 niedergeblasen; die moderneren Hochofenanlagen <strong>und</strong><br />

Walzstraßen in Donawitz, Zeltweg, Kindberg <strong>und</strong> Neuberg mussten zumindest<br />

zeitweise abgeschaltet werden. 652 In den Jahren 1930 <strong>und</strong> 1931 führte der krisenbedingte<br />

Einbruch in der Braunkohleförderung der ÖAMG auch zu Entlassungen in<br />

den obersteirischen Kohlerevieren Seegraben <strong>und</strong> Fohnsdorf. 653 In den wichtigsten<br />

Groß- <strong>und</strong> Mittelbetrieben der steirischen Eisen- <strong>und</strong> Metallindustrie, aber auch im<br />

Magnesitbergbau ging die Zahl der Vollbeschäftigten bis 1931 im Vergleich zu 1928<br />

auf etwa die Hälfte zurück. Bis Ende 1932 schrumpften die Belegschaften sogar um<br />

Zweidrittel. In dieser Branche gingen zwischen Juni 1928 <strong>und</strong> Dezember 1932 von<br />

18.000 insgesamt etwa 11.500 Arbeitsplätze verloren. 654 Am schwersten traf es wohl<br />

Eisenerz <strong>und</strong> Donawitz in den Jahren 1931 <strong>und</strong> 1932, als die dortigen ohnehin auf<br />

ein Minimum reduzierten Belegschaften pauschal entlassen wurden, nur um deren<br />

Wiedereinstellung zu wesentlich schlechteren Bedingungen zu erpressen. Mit dieser<br />

649 Peter Wilding, „… für Arbeit <strong>und</strong> Brot“. Arbeitslose in Bewegung. Arbeitslosenpolitik <strong>und</strong> Arbeitslosenbewegung<br />

in der Zwischenkriegszeit in Österreich (mit dem regionalgeschichtlichen<br />

Schwerpunkt Steiermark) (=Materialien zur Arbeiterbewegung 55, Wien 1990) Kurzitat: Wilding,<br />

Arbeit <strong>und</strong> Brot, S. 306–7.<br />

650 Laut Kindheitserinnerungen einer Zeitzeugin, Frau Maria Stanek (geb. 1922), deren Vater von<br />

1927 bis 1934 arbeitslos war.<br />

651 Stiefel, Arbeitslosigkeit, S. 58.<br />

652 Schleicher, Heisses Eisen, S. 390ff.<br />

653 Schleicher, Heisses Eisen, S. 392; StLA L.Reg. K.678: Gr.384 (1932), A 3/2 1932.<br />

654 Wilding, Arbeit <strong>und</strong> Brot, S. 305–315.<br />

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