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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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Verantwortung vor Gott kenne, könne ein Staatswesen zum Wohl aller Staatsbürger<br />

leiten. Darum hieß es, gegen den drohenden Bolschewismus, den atheistischen<br />

„Gesinnungsmaterialismus“ anzukämpfen. Schuld an dieser Entwicklung seien die<br />

Sozialdemokraten, die nach „äußeren Gütern“ strebten, den „Trieb der Selbstsucht“<br />

züchteten <strong>und</strong> die Religion als ein „unwissenschaftliches Hirngespinst“ abtaten.<br />

Aber auch viele Bürgerliche ähnlicher Gesinnung wären längst in das rote Lager<br />

übergelaufen, „wenn sie nicht Angst um ihre Geldschränke“ hätten. Umso wichtiger<br />

sei es, gerade jetzt als christliche Partei kämpferisch aufzutreten, wo die Sozialdemokraten<br />

im Begriff seien, Herrschaft über Gesetz <strong>und</strong> Verwaltung zu ergreifen, lautet<br />

das Fazit des Redakteurs. 329 Das im christlichsozial gesinnten Blatt angeprangerte<br />

Treiben der Sozialdemokraten schien seine Bestätigung in der Umgebung von Leoben<br />

zu finden. Ein paar Tage später wurde berichtet, die katholische Bevölkerung von<br />

Judendorf-Seegraben beschwere sich darüber, dass sozialdemokratische Agitatoren<br />

von Haus zu Haus gingen, um die Bewohner zum Beitritt zu ihrer Partei zu zwingen.<br />

Bei Weigerung soll der Verlust des Arbeitsplatzes angedroht worden sein. Ähnliche<br />

terroristische Taten seien auch von anderen Industrieorten gemeldet worden. Das<br />

Blatt fragt: Ist das die sozialdemokratische Freiheit? Will man mit solchen Mitteln<br />

der <strong>Gewalt</strong> den sozialistischen Staat aufbauen? Wie wird sich die sozialdemokratische<br />

Freiheit erst bei den Wahlen austoben? 330<br />

4.3.3 Exkurs: Das „Superwahljahr“ 1919<br />

Im Jahr 1919 fanden drei Wahlgänge statt: die Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung<br />

am 16. Februar, die Landtagswahlen am 11. Mai <strong>und</strong> die Gemeinderatswahlen<br />

am 27. Juli. Um im Wahlkreis Obersteier für den Wahlkampf zu rüsten,<br />

trafen sich Vertreter der bürgerlichen Parteien bei einer Versammlung des von<br />

Walter Pfrimer gegründeten deutschen Volksrates kurz vor Weihnachten 1918 in<br />

Leoben. Zweck dieser Zusammenkunft war es, die Möglichkeit einer gemeinsamen<br />

Liste zwischen den Vertretern der Deutschdemokraten, Deutschsozialen, Christlichsozialen<br />

<strong>und</strong> des Deutschen Bauernb<strong>und</strong>es zu besprechen. Der Vertreter der<br />

Christlichsozialen, Abgeordneter Dechant Franz Prisching, begrüßte das Ansinnen,<br />

eine solidarische Front gegen „die heranstürmende rote Sintflut“ zu bilden, stellte<br />

dem „antiklerikalen“ liberalen Lager jedoch unannehmbare Bedingungen, die entrüstet<br />

zurückgewiesen wurden. Schließlich fand man einen Kompromiss. Statt einer<br />

gemeinsamen Liste wurde eine Listenkoppelung vereinbart, die jeder Partei erlaubte,<br />

ihre eigene Identität zu wahren <strong>und</strong> selbstständig um Wählerstimmen zu werben. 331<br />

In diesem Sinne arbeitete auch der Christlichsoziale Wahlausschuss für Obersteiermark<br />

in Leoben, wo ein Parteisekretariat, zuständig für die ganze Obersteiermark,<br />

bereits existierte. Am 17. Jänner 1919 präsentierte die CSP die Liste ihrer Wahlwerber<br />

329 Warum christlichsozial? In: Grazer Volksblatt (24.11.1918) S. 1.<br />

330 Sozialdemokratischer Terrorismus. In: Grazer Volksblatt (26.11.1918) S. 1.<br />

331 Zur Wahlbewegung in Obersteiermark. In: Grazer Volksblatt (24.12.1918) S. 1.<br />

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