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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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Schon seit Jahren waren die Tage von politischer Hochspannung nicht so überfüllt<br />

wie jetzt. Noch nie war die Verelendung aller schaffenden Stände des Volkes so<br />

kraß, noch niemals der Erwerb so schwer, die Lasten so groß, die Not so umfassend.<br />

Jetzt vergrößert der Konflikt zwischen B<strong>und</strong>esregierung <strong>und</strong> Volksvertretung<br />

noch weiter die Sorgen des Volkes. Befürchtungen werden laut; man<br />

spricht von Bürgerkrieg <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong>maßnahmen. Ein Gerücht jagt das andere,<br />

die Radikalisierung der Menschen, auch der sonst friedfertigen, nimmt in allen<br />

Lagern <strong>und</strong> bei allen Parteien zu. 696<br />

Rückblickend betrachtet scheinen politische Agitatoren in der obersteirischen<br />

Industrieregion im Gegensatz zu Marienthal 697 zumindest einen kleineren Teil der<br />

Arbeitslosen erfolgreich mobilisiert <strong>und</strong> radikalisiert zu haben. Eine diesbezügliche<br />

komparative Studie könnte mehr Licht auf Ursache <strong>und</strong> Wirkung der politischen<br />

Organisierung von Arbeitslosen in differenten Lebenswelten werfen. Die Arbeitslosenbewegung,<br />

so der Grazer Historiker Peter Wilding, die ihren Höhepunkt bereits<br />

zu Beginn der Weltwirtschaftskrise hatte, war 1933 zum Großteil in Auflösung<br />

begriffen. Er vermutet, dass dies hauptsächlich mit der Enttäuschung der Erwartungshaltung<br />

der Arbeitslosen, welche durch die sich ständig verschlechternden<br />

ökonomischen Gegebenheiten noch vergrößert wurde, im Zusammenhang steht. 698<br />

Doch ebenso mochten andere Faktoren wie die von den Nationalsozialisten propagierte<br />

Vision der „Volksgemeinschaft“ sowie der Abbau der Parteienlandschaft <strong>und</strong><br />

der demokratischen Gr<strong>und</strong>rechte zum Absterben der Bewegung beigetragen haben.<br />

5.3 „Die Fahne hoch …“. Der Weg in den Abgr<strong>und</strong><br />

5.3.1 Die Mobilisierungskampagne der NSDAP<br />

Wie die exemplarisch herausgegriffenen Ereignisse im vorhergehenden Kapitel zeigen,<br />

war eine sukzessive Radikalisierung der politischen Kultur mit der Etablierung<br />

<strong>und</strong> dem Aufstieg der NSDAP (Hitlerbewegung) ab 1930 in der obersteirischen<br />

Industrieregion einhergegangen. Bereits in den Jahren vor der Wirtschaftskrise hatte<br />

sie sich mit ihrem Anspruch, eine Arbeiterpartei zu sein, auf Konfrontationskurs<br />

begeben, was sich in zunehmenden lokalen Zusammenstößen mit Kommunisten <strong>und</strong><br />

696 Nicht alle gegen alle! In: Obersteirerblatt (18.3.1933) S. 1.<br />

697 Marie Jahoda, Paul F. Lazarsfeld, Hans Zeisel, Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer<br />

Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit. Mit einem Anhang zur<br />

Geschichte der Soziographie (Frankfurt/Main 1975) S. 59–60: Im Abschnitt „Die müde Gemeinschaft“<br />

wird das Phänomen der Politikverdrossenheit unter den ehemals politisch aktiven Bewohnern<br />

Marienthals so begründet: Diese Tatsache, die in seltsamem Widerspruch zu allem steht, was<br />

im Augenblick im Deutschen Reich vorgeht, ist wohl darauf zurückzuführen, daß in dem kleinen<br />

Marienthal alle Menschen, ohne Rücksicht der Parteizugehörigkeit, das gleiche Schicksal zu ertragen<br />

haben (…).<br />

698 Wilding, Arbeit <strong>und</strong> Brot, S237–294: In seiner umfangreichen Arbeit bietet Peter Wilding eine<br />

Fülle von Details zum Thema Arbeitslosenpolitik <strong>und</strong> -protestbewegung in der Steiermark.<br />

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