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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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über die „Ersatzleistung für Schäden aus Terrorakten“ hoffen. 778 Auf Gr<strong>und</strong> dieser<br />

Verordnung konnte der Ersatz eines solchen Schadens „von amtswegen auch jenen<br />

Personen vorgeschrieben werden, die durch ihr Verhalten die mit Strafe bedrohte<br />

Handlung begünstigt, gefördert oder nachträglich gutgeheißen haben“. Konkret<br />

handelte es sich also um eine willkürliche Geldbeschaffungsaktion. Menschen, denen<br />

keine Täterschaft nachgewiesen werden konnte, sollten auf Gr<strong>und</strong> ihrer tatsächlichen<br />

oder vermuteten politischen Sympathien tief in die Tasche greifen. Diese Maßnahme<br />

war klarerweise kaum geeignet, die Popularität der Regierung Dollfuß bei jenen<br />

Betroffenen, die sich ungerecht behandelt fühlten, zu steigern. In der Steiermark traf<br />

es großteils ehemalige Anhänger der NSDAP oder des Steirischen Heimatschutzes;<br />

einige wenige Fälle zeigen jedoch, dass auch sozialdemokratische <strong>und</strong> christlichsoziale<br />

Parteigänger zum Handkuss kamen. 779 Die folgenden ausgewählten Fälle aus<br />

dem Bezirk Leoben werfen ein grelles Licht auf die Rechtspraxis jener Zeit:<br />

a) Der jüdische Kaufmann Max Gewing hatte einen Sachschaden von r<strong>und</strong> 1000<br />

Schilling bei einem im Jänner 1934 verübten Bombenanschlag auf sein Geschäft<br />

erlitten. Einige Leobener Nationalsozialisten, darunter drei Ladenbesitzer, ein<br />

Angestellter, ein Beamter <strong>und</strong> ein Zahnarzt, wurden zu einer Ersatzleistung von<br />

319 Schilling an Max Gewing verurteilt. In ihren Berufungsausführungen bestritten<br />

sie jedoch die Rechtmäßigkeit des Bescheides <strong>und</strong> gaben übereinstimmend an, „mit<br />

den gegenständlichen Terroraktionen in keinem Zusammenhange zu stehen“. Der<br />

Kaufmann Heinrich O. begründete seine Beschwerde wie folgt:<br />

Wie aber soll ich mich wehren gegen die Behauptung, dass ich der Hintermann<br />

der Tat, ja sogar ihr geistiger Urheber gewesen sein soll, wenn mir die Einzelheiten<br />

überhaupt nicht bekannt sind? Es müssen doch zumindest zuerst Erhebungen<br />

darüber gemacht werden, wer der Täter war, ob ich jemals in Verbindung mit<br />

ihm gestanden bin, ob ich irgendwie auch nur die entfernteste Beihilfe oder eine<br />

778 Das „Ersatzleistungsgesetz“ bestand aus drei aufeinander folgenden Teilen: aus der Verordnung<br />

der B<strong>und</strong>esregierung vom 1.9.1933 BGBl. Nr.397 „zur Hereinbringung von Kostenersätzen für außerordentliche<br />

Sicherheitsmaßnahmen“:<br />

http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=bgb&datum=19330004&seite=<br />

00001025, 18.12.2009 <strong>und</strong> jener vom 12. Jänner 1934 BGBl. Nr.20 „über die Ersatzleistung für<br />

Schäden aus Terrorakten“: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=bgb&datum<br />

=19340004&seite=00000077, 18.12.2009 sowie dem B<strong>und</strong>esgesetz Nr. 254/Art. II vom 24. 9.1934:<br />

http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=bgl&datum=19340004&seite=00000609<br />

&zoom=2, 18.12.2009.<br />

779 StLA ZGS (BKA) K.88/15 (Fol.58–115): Der Fall des Grazer Kaufmannes Schönbauer ist so ein<br />

Beispiel. In seiner Berufung gibt er an, nie der NSDAP angehört zu haben, sondern seit vielen<br />

Jahren Mitglieder der CSP zu sein. Ein Wirt aus Peggau gibt in seiner Beschwerde an den B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

an, dass er mit keiner der verbotenen Parteien jemals sympathisiert habe <strong>und</strong> seit 8<br />

Jahren Mitglied des Katholischen Bauernb<strong>und</strong>es sei. Einem Baumeister aus demselben Ort ergeht<br />

es ähnlich: Er ist christlichsozialer Gewerbetreibender <strong>und</strong> Mitglied des Pfarrbauernrates, dessen<br />

Frau Mitglied des katholischen Frauenvereins. Der sozialdemokratische Filialleiter des Konsumvereins<br />

in Eisenerz wurde für einen Anschlag auf einen Lehrer, den er vermutlich nicht verübt hat,<br />

ebenfalls zur Kasse gebeten.

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