Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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Arbeitstag von 6 St<strong>und</strong>en bei freier Kost <strong>und</strong> Logis vor. Da er jungen Arbeitslosen,<br />
die keine Aussicht auf eine ordentliche Beschäftigung hatten, Arbeit <strong>und</strong> Brot versprach,<br />
war der Andrang entsprechend groß. Immerhin konnte der österreichische<br />
Arbeitsdienst bis zu einem Viertel aller arbeitslosen Jugendlichen eine zeitweilige<br />
Beschäftigung bieten. 689<br />
5.2.6 Delogierungen <strong>und</strong> Exekutionen<br />
Nicht nur bei arbeitslosen <strong>und</strong> ausgesteuerten Menschen, sondern auch unter der<br />
ländlichen Bevölkerung herrschte höchste Verzweiflung, aber auch Wut auf die<br />
„Obrigkeit“, insbesondere auf die „Volksvertreter“. Viele kleinere Bauern wurden<br />
an den Rand ihrer Existenz getrieben, weil die Absatzkrise die Preise für landwirtschaftliche<br />
Produkte wie Milch, Vieh <strong>und</strong> Holz total entwertet hatte <strong>und</strong> die von<br />
der Regierung gesetzten Maßnahmen nicht griffen. Gleichzeitig machte die ständig<br />
steigende Steuer- <strong>und</strong> Abgabenlast jedes Weiterwirtschaften zu einem sinnlosen<br />
Unterfangen. In den Lokalblättern erschienen immer öfter Versteigerungsedikte<br />
von Wohnhäusern, Gewerbebetrieben, Gasthäusern <strong>und</strong> Bauernhöfen im Bezirk<br />
Leoben. 690 Der Bericht des GPK Bruck an der Mur gibt die Krisenstimmung wider:<br />
Die Bauern sind der Meinung, dass es für sie keine Rettung mehr gebe. (…) Kein<br />
Volksvertreter kümmere sich um diese trostlose Lage der Bauernschaft weshalb sie<br />
gezwungen sind, sich selbst auf die Beine zu stellen, damit ihnen nicht die letzte Kuh im<br />
Exekutionswege aus dem Stalle getrieben wird. Und mag es dabei kommen zu was es<br />
will, es sei sowieso nichts mehr zu verlieren. Der aktive Widerstand der obersteirischen<br />
Landbevölkerung, heißt es, habe sich anlässlich einer Versteigerung bei einem Bauern<br />
aus der Gemeinde Übelstein bei Bruck/Mur eindrucksvoll gezeigt. Als Rudolf H.<br />
wegen Krankenkassenschulden das letzte Schwein im Jänner 1933 abgenommen werden<br />
sollte, fanden sich auf dessen Hof an die 40 Personen ein, Bauern, Bauernsöhne,<br />
Knechte aber auch Arbeitslose, um die Versteigerung des Tieres zum Ausrufspreis<br />
zu verhindern. Die Krankenkasse zog die Exekution im letzten Moment zurück. 691<br />
Ebenfalls im Jänner 1933 sollten mehrere Versteigerungen von Bauerngütern <strong>und</strong><br />
-inventar in Kobenz bei Knittelfeld stattfinden, laut Behördenangaben waren es 17 an<br />
der Zahl, die jedoch keine Käufer fanden. In den meisten Fällen wirkte das massierte<br />
Auftreten von politischen Aktivisten verschiedener Couleurs, meist Kommunisten,<br />
Nationalsozialisten oder Heimatschützern, abschreckend auf potenzielle Käufer, die<br />
sich erst gar nicht vor Ort zu erscheinen getrauten. 692<br />
689 Ausführlich bei: Stiefel, Arbeitslosigkeit, S. 86–103; Wilding, Arbeit <strong>und</strong> Brot, S. 178–182. Laut<br />
dem KP-Flugblatt „Der Revolutionäre Arbeitsdienstler“ war es im Herbst 1933 wegen schlechter<br />
Verpflegung in einigen Lagern, bspw. im Wald am Schoberpass, zu Revolten gekommen (StLA ZGS<br />
(BKA) K.83/12 (Fol.1241).<br />
690 Beispiele für Versteigerungsedikte in der „Leobener Zeitung“ vom 18.9.1932, S. 11; 11.2. u.<br />
18.2.1934, S10.<br />
691 StLA ZGS (BKA) K.80/7 (Fol.340–341).<br />
692 StLA ZGS (BKA) K.80/7 (Fol.414–415).<br />
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