Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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Kommunikationslinien in der Steiermark, wobei die Fernkabelleitung in Steinhaus<br />
am Semmering gesprengt, die oberirdische Telefonleitung an mehreren Stellen in<br />
der Umgebung von Graz, bei Mautern, Judenburg, Leoben, Vordernberg, Unzmarkt<br />
<strong>und</strong> jene der Böhlerwerke in Kapfenberg entweder durch Sprengung oder durch<br />
Abzwicken der Drähte beschädigt wurden. 718 Es lag die Vermutung nahe, dass hinter<br />
diesen <strong>und</strong> anderen seriellen Aktionen Methode steckte. Ein von der Polizei aufgegriffener<br />
Überläufer 719 hatte ausgesagt, dass die von der NSDAP ausgebildeten in<br />
Grenzorten stationierten Stosstrupps für ausgesuchte „Aktionsgebiete“ in Österreich<br />
bestimmt seien; neben den Kremser Attentätern 720 nannte er noch drei Männer, welche<br />
für die Sprengung der Fernkabelleitung bei Bruck an der Mur 721 verantwortlich<br />
zeichneten. Die Annahme des Leobener Bezirksgendarmeriekommandanten, die<br />
Aktivisten der NSDAP würden von einer Zentrale „planmäßig“ gesteuert, schien sich<br />
zu bestätigen. 722 Ende Juli begab sich Sicherheitsminister Fey demonstrativ auf eine<br />
dreitägige Inspektionsreise durch das Land, die programmgemäß <strong>und</strong> ohne größere<br />
Zwischenfälle verlief. Anschließend stellte der steirische Sicherheitsdirektor fest, dass<br />
„die steirische Exekutive (…) mit nahezu an der Grenze der physischen Leitungsfähigkeit<br />
angelangter Selbstaufopferung durch Wochen zum Wohle des Vaterlandes<br />
<strong>und</strong> als Stütze der Regierung unverdrossen <strong>und</strong> eisern ihre Pflicht erfüllt“ habe. 723<br />
Um der Flut verbotener Propaganda entgegenzuwirken, erließ der Sicherheitsdirektor<br />
„besondere Maßnahmen gegen den Missbrauch fremden Eigentums zu<br />
politischer Propaganda“ an alle Vorstände der Bezirkshauptmannschaften <strong>und</strong> politischen<br />
Exposituren der Steiermark sowie an die Grazer B<strong>und</strong>espolizeidirektion.<br />
Hinter dieser sperrigen Formel steckte die Order zur Heranziehung von tatsächlichen<br />
oder möglichen Tätern beziehungsweise Gesinnungsgenossen zu so genannten<br />
Putzscharen zur Entfernung von Hakenkreuzschmierereien sowie plakatierten,<br />
gestreuten oder auf sonstige Weise verbreiteten Propagandamaterialien. 724 In der<br />
Nacht zum 9. November, am zehnten Jahrestag des gescheiterten Nazi-Putsches<br />
718 StLA ZGS (BKA) K.81/8 (Fol.345–348).<br />
719 Siehe zu Karl Korn die Erläuterungen im Unterabschnitt 5.3.8.<br />
720 Der in Krems/OÖ auf einen Zug der als Hilfspolizisten beschäftigten christlich-deutschen Turner<br />
verübte blutige Handgranatenüberfall bildete den Anlass für das Verbot der NSDAP am 19. Juni<br />
1933.<br />
721 Vermutlich war der Anschlag auf die Fernkabelleitung nach Linz gemeint, die in der Nacht vom<br />
24. auf den 25. Mai 1933 auf der Murinsel bei Bruck/Mur gesprengt worden war. Hierbei hatten<br />
„unbekannte Täter“ genau oberhalb des unterirdischen Kabelbündels ein tiefes Loch gebohrt, Dynamit<br />
eingeführt <strong>und</strong> mittels Zündschnur zur Explosion gebracht: StLA ZGS (BKA) K.81/8 (GPK<br />
Bruck/Mur No.3481/25.5.1933).<br />
722 StLA L.Reg. Gr.384: Na 14/19 (18.6.1933): All diese Umstände, die fortgesetzten Demonstrationen,<br />
auch vor der Inhaftierung der Führer, wobei sich die hsg. Hochschüler sehr rege beteiligten <strong>und</strong> ebenfalls<br />
wiederholt die Ruhe <strong>und</strong> Ordnung empfindlich gestört haben, zeigen, dass die ganzen Aktionen<br />
planmässig <strong>und</strong> wohl vorbereitet von einer Zentrale aus geleitet <strong>und</strong> dann inszeniert wurden.<br />
723 StLA ZGS (BKA) K.81/8 (Fol.361–365).<br />
724 StLA ZGS (BKA) K.81/8 (Fol.380): Die erste Verordnung des mit 10. August 1933 datierten R<strong>und</strong>erlasses<br />
betraf „unmittelbare Täter <strong>und</strong> Anstifter“, die „stets im vorgesehenen Höchstmaß“ bestraft<br />
werden sollten; StLA ZGS ((BKA) K.81/8 (Fol.599); In den Wochenberichten des Sicherheitsdirektors<br />
findet sich manchmal Skurriles, wie das Beispiel des jüdischen Kaufmannes Lustig aus<br />
Kirchdorf bei Pernegg zeigt, der wegen angeblicher Leistung des Hitler-Grußes angezeigt wurde!<br />
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