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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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1. Einleitung <strong>und</strong><br />

theoretische Gr<strong>und</strong>lagen<br />

1.1 Gedanken zum Thema<br />

Ungeliebtes Österreich<br />

Mit einigen wenigen Ausnahmen waren die Österreicher nach 1918 der Meinung,<br />

daß sie ein Teil Deutschlands sein müßten <strong>und</strong> daran lediglich durch die Großmächte<br />

gehindert würde, die Mitteleuropa den Friedensvertrag aufgezwungen<br />

hatten. (…) Sie hatte gerade eine Revolution hinter sich <strong>und</strong> war für kurze Zeit<br />

unter einer aus klerikalen Reaktionären gebildeten (…) Regierung zur Ruhe<br />

gekommen, die sich auf die Stimmen der frommen oder zumindest stark konservativen<br />

Landbevölkerung stützte. Ihr stand eine verhaßte Opposition aus<br />

revolutionären marxistischen Sozialisten gegenüber, die ihre Basis zum größten<br />

Teil in Wien (…) sowie bei all denen hatte, die sich als „Arbeiter“ verstanden.<br />

Neben der Polizei <strong>und</strong> der Armee, die der Regierung unterstanden, gab es auf<br />

beiden Seiten des politischen Spektrums paramilitärische Verbände, für die der<br />

Bürgerkrieg nur aufgeschoben war. 1<br />

In Hobsbawms nüchterner Bestandsaufnahme steckt die Essenz der in den Jahren<br />

nach dem verlorenen Krieg ungeschminkt zu Tage getretenen Problematik: Der mangelnde<br />

politische Konsens, verschärft durch die weitgehend fehlende Identifikation<br />

mit dem Kleinstaat Österreich, ja, Angst vor <strong>und</strong> Ablehnung des politischen Gegners<br />

gehören zu den maßgeblichen Ursachen für die krisenhafte Entwicklung in der<br />

Ersten Republik Österreichs. Mit dem Ende der Herrschaft der Habsburger <strong>und</strong> der<br />

Hohenzollern schien vielen Parlamentariern die Wiedervereinigung Deutschösterreichs<br />

mit dem Deutschen Reich ein logischer Schritt zu sein. Schon im Artikel 2 der<br />

von der provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich ausgearbeiteten<br />

Verfassung wurde bestimmt, dass Deutschösterreich ein Bestandteil der Deutschen<br />

Republik sei. 2 Der Staatsvertrag von St. Germain, der am 17. Oktober 1919 ratifiziert<br />

wurde, untersagte jedoch den Anschluss Österreichs an Deutschland, setzte die<br />

Staatsgrenzen Österreichs endgültig fest <strong>und</strong> verhängte wirtschaftliche Sanktionen<br />

1 Eric Hobsbawm, Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert (München 2006) S. 25.<br />

2 Alfred Pfoser, Politik im Alltag. Zur Kulturgeschichte der Ersten Republik. In: Zeitgeschichte 5<br />

(1978) 372–383; auch Wolfgang C. Müller, Zum Konzept der Politischen Kultur. In: Zeitgeschichte<br />

12 (1984) 26–35. Schon die Geburtsst<strong>und</strong>e der Republik stand im Zeichen des Unfriedens: Anlässlich<br />

der Proklamation der Republik am 12. November 1918 kam es vor dem Parlamentsgebäude<br />

in Wien zu Tumulten <strong>und</strong> einer Schießerei, die mehrere Verletzte forderte: Gerhard Botz, <strong>Gewalt</strong><br />

in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918 bis 1934<br />

(München 1976), Kurzzitat: Botz, <strong>Gewalt</strong>, S. 33–34; Peter Thaler, The Ambivalence of Identity.<br />

The Austrian Experience of Nation-Building in a Modern Society (West Lafayette 2001) S. 58, 68.<br />

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