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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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keineswegs zu einer echten Demokratisierung der Gesellschaft, sondern begünstigte<br />

die Aufrichtung scharfer gesellschaftspolitischer Barrieren. In diesem Sinne ist verständlich,<br />

dass das Bürgertum, das gerade erst zur politischen Partizipation gelangt<br />

war, in der Zulassung neuer Wählerschichten zum Wahlrecht eine Gefährdung seiner<br />

Interessen sah. Um 1895 war der „Arbeiter“ nicht bloß zur „roten Gefahr“, sondern<br />

auch zum Träger egalitärer Bestrebungen geworden. 7 Während sich die Arbeiterbewegung<br />

auf die Bedürfnisse ihrer Klasse konzentrierte, kam es im „bürgerlichen<br />

Lager“ zu einer weitgehenden Identifizierung von Bürgertum <strong>und</strong> Bauernschaft mit<br />

dem Kaiserstaat, wobei Kirche, Schule <strong>und</strong> Militär als wichtige Sozialisationsfaktoren<br />

wirkten. 8 Die in den letzten Jahrzehnten der Monarchie formierten politischen<br />

Lager samt deren Subkulturen bildeten letztlich die Basis für den gesellschaftlichen<br />

Konflikt der Ersten Republik.<br />

Aus heutiger Sicht erscheint es beinahe unfassbar, wie stark die Politik das Denken<br />

<strong>und</strong> Handeln vieler Menschen beeinflusste, so dass die Verachtung des Andersgesinnten,<br />

des politischen Gegners, vielfach die Haltung im Alltag bestimmte. Josef<br />

Hofmann drückt dieses Unbehagen im Vorwort seiner 1965 erschienenen Publikation<br />

„Der Pfrimer-Putsch“ folgendermaßen aus:<br />

Um welche autoritäre Ideologie der Zwischenkriegszeit es sich auch handelt,<br />

wenn wir zu ihren letzten Gr<strong>und</strong>lagen vorstoßen wollen, sehen wir uns vor einen<br />

Mythos gestellt, der sich unserer Einsicht entzieht. (…) Was aber meiner Meinung<br />

nach weit mehr zählt, ist die Tatsache, daß in dieser Episode klar zum Ausdruck<br />

kommt, (…) wie sehr die Politik jener Zeit von Phantasten beeinflußt werden<br />

konnte, <strong>und</strong> wie gläubig die Menschen politischen Dilettanten folgten. 9<br />

Das von Hofmann Mitte der 1960er Jahre angesprochene Problem des Zugangs<br />

zum politischen Denken der Zwischenkriegszeit könnte nach weiteren 45 Jahren<br />

relativiert werden. Der genannte Zeitraum ist zwar ferner denn je, inzwischen hat<br />

sich die Geschichtswissenschaft mit dieser Periode jedoch stärker beschäftigt <strong>und</strong><br />

eine Reihe von Publikationen zu diesem Thema hervorgebracht. Ich möchte auf das<br />

Thema der politisch motivierten Geschichtsschreibung in der Zweiten Republik 10<br />

hier nicht näher eingehen. Faktum ist, dass die politischen Ereignisse der Ersten<br />

Republik keineswegs vergessen, sondern heute noch Gegenstand des parteipolitischen<br />

<strong>und</strong> öffentlichen Diskurses sind. 11 Dennoch könnte man von einem Mythos<br />

7 John W. Boyer, Political Radicalism in Late Imperial Vienna. Origins of the Christian Social Movement<br />

1848–1897 (Chicago 1981) S. 412.<br />

8 Karl R. Stadler, Die Gründung der Republik. In: Weinzierl/Skalnik, Erste Republik, Bd.1,<br />

S. 55.<br />

9 Josef Hofmann, Der Pfrimer-Putsch (Graz 1965), Kurzzitat: Hofmann, Pfrimer-Putsch, S. 5.<br />

10 Robert Hoffmanns Literaturbericht ist nicht mehr aktuell, gibt jedoch einen guten Überblick über<br />

die „heiß umfehdete“ Thematik. Robert Hoffmann, Neuere Literatur zur Geschichte Österreichs<br />

von 1927–1938. In: Zeitgeschichte 3 (1975) 378–393.<br />

11 Hiermit meine ich beispielsweise die Diskussion um das in den Räumen des ÖVP-Parlamentsklubs<br />

befindliche Dollfuß-Bild <strong>und</strong> um die Gedenkstätte im Marmorsaal des B<strong>und</strong>eskanzleramts,<br />

sowie um die Ereignisse des Feber 1934 <strong>und</strong> die Schuldfrage hinsichtlich der Ausschaltung der<br />

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