Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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5.3.5 1934: Terror ohne Ende<br />
Im Jänner konzentrierten sich die Bemühungen der Exekutive bei „Verdacht der<br />
unbefugten Parteitätigkeit“ auf Hausdurchsuchungen. In einer Schwerpunktaktion<br />
wurden die Unterkünfte verdächtiger Personen nach Waffen <strong>und</strong> Propagandamaterial<br />
durchstöbert. Aus diesem Gr<strong>und</strong> kam es in der ganzen Industrieregion zu zahlreichen<br />
Festnahmen von Nationalsozialisten <strong>und</strong> Heimatschützern aber auch Sozialdemokraten<br />
<strong>und</strong> Kommunisten. In der Nacht vom 19. auf den 20. Jänner wurde der<br />
Landesführer des verbotenen Steirischen Heimatschutzes Konstantin Kammerhofer<br />
in seinem Heimatort St. Marein im Mürztal verhaftet <strong>und</strong> an das Landesgericht in<br />
Graz überstellt. Bei der anschließenden Demonstration in St. Marein wurden sieben<br />
Personen festgenommen. In Judenburg <strong>und</strong> Knittelfeld waren die Arrestlokale in<br />
Folge der Abstrafungen bald überfüllt. Bei zahlreichen Hausdurchsuchungen im ganzen<br />
Bezirk hatte die Exekutive Waffen gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> beschlagnahmt. Neben einem<br />
Knittelfelder Rechtsanwalt wurde der Kreisleiter des Steirischen Heimatschutzes,<br />
Gutsbesitzer Karl Arbesser aus Spielberg, wegen Besitzes eines schweren Maschinengewehres<br />
samt Munition angezeigt. Im Eisenerzer Werksspital der ÖAMG entdeckte<br />
die Gendarmerie nicht nur Unterlagen der Ortsgruppe der NSDAP Eisenerz, sondern<br />
auch ein regelrechtes Waffenlager, das der nationalsozialistische Krankenpfleger<br />
Anton I. in seinem Zimmer versteckt hatte. 757 Die Agitatoren der NSDAP reagierten<br />
umgehend. Am 20. <strong>und</strong> 21. Jänner erreichte der Terror einen weiteren Höhepunkt<br />
in Leoben, als unbekannte Täter insgesamt 34 Sprengsätze zündeten, die großen<br />
Sachschaden anrichteten. Vor dem Lokal der Kunstdruckerei „Horst“, dem Druckort<br />
der von den Nazis angefeindeten Lokalzeitung „Obersteirische Volkspresse“, explodierte<br />
ein größerer Sprengsatz, der die Geschäftsauslage total zerstörte. Angesichts<br />
dieser Eskalation ordnete Sicherheitsdirektor Zelburg die Anhaltung prominenter<br />
Leobener Nationalsozialisten an. 758 Am 22. Jänner wurden Rechtsanwalt Dr. Delpin,<br />
der ehemalige Vizebürgermeister Cerha <strong>und</strong> der Krankenhausverwalter Skerbisch<br />
bereits im Morgengrauen verhaftet <strong>und</strong> nach Kaisersteinbruch beziehungsweise<br />
Wöllersdorf gebracht. 759 Begründet wurde die frühmorgendliche Aktion mit einem<br />
möglichen Ausbruch von Unruhen, da an diesem Tag etwa 4500 Arbeitslose auf dem<br />
Leobener Arbeitsamt, darunter zahlreiche Nationalsozialisten, erwartet wurden. 760<br />
Wenn der Sicherheitsdirektor gehofft hatte, durch die Anhaltung der Vorgenannten<br />
eine Beruhigung herbeizuführen, so wurde er bald eines Besseren belehrt. Am selben<br />
Abend explodierten neun Papierböller in Leoben. Ein paar Tage später, am 25.<br />
Jänner, wurde die Auslage der Geschirrhandlung des jüdischen Kaufmannes Max<br />
757 StLA ZGS (BKA) K.85/12 (Fol.931–940).<br />
758 Gebhardt, Gendarmerie, S. 258: Per Verordnung zur Errichtung von Anhaltelagern vom 23. September<br />
1933 wurden die Sicherheitsdirektoren <strong>und</strong> der Polizeipräsident ermächtigt, Personen, die<br />
„im begründeten Verdacht“ standen, „staatsfeindliche Handlungen“ zu begehen, vorzubereiten<br />
oder zu begünstigen, ohne richterlichen Haftbefehl auf unbefristete Zeit in Anhaltelager einzuweisen<br />
bzw. wieder freizulassen.<br />
759 Chronik des BGK Leoben, 1934.<br />
760 StLA ZGS (BKA) K.84/11 (Fol.780–800).