Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

Dienst mit Stahlhelm und aufgepflanztem Seitengewehr. Motorfahrer jagen durch
die Stadt und bringen Meldungen über die Kämpfe aus der Umgebung von Graz.
Rettungswagen fahren ununterbrochen und bringen schwerverletzte Kämpfer
beider Parteien. Sie bringen aber auch Verletzte, die den bösartigen Mutwillen
der Starhemberger und Sturmschärler zum Opfer fallen. Lastwagen sausen durch
die Stadt. Sie kommen aus der Ost- und Südsteiermark. Vorn auf dem Dach des
Führersitzes liegen, das Gewehr schussbereit, die Starhemberger Heimatschützer.
Im Wageninnern stehen junge, aufrechte, sonnengebräunte Bauerngestalten. Ihre
Hände sind auf den Rücken gefesselt. Daneben schussbereite Heimatschützer.
Die Verluste sind sehr schwer. Besonders in Leoben ist der Kampf erbittert. Haus
um Haus wird gekämpft. Studenten und die Donawitzer Werkarbeiter stehen
Schulter an Schulter und verteidigen ihren Platz gegen das Militär.
Konsul Drubba erhebt schwerste Vorwürfe gegen die Urheber des Putsches und wirft
ihnen Verantwortungslosigkeit und Leichtfertigkeit vor. Die politische Leitung sei
unfähig, meint er, und müsse verschwinden, ehe sie weiteres Unheil anrichte. Er
bezieht sich hierbei auf einen von der Gauleitung Steiermark herausgegebenen Flugzettel
913 , der unter Vorspiegelung falscher Tatsachen den Aufstand in Graz zu einem
Zeitpunkt ausgerufen hatte, als das Militär beinahe im ganzen Land die Oberhand
hatte. Der Konsul scheint jedoch keine Kenntnis von einer doppelten Befehlsführung
Habicht/SS/Heimatschutz kontra Reschny/SA gehabt zu haben. Er gibt sich überrascht
und empört ob der Information eines Gewährsmannes, dass die politische
Leitung keinerlei Einfluss auf SA und SS gehabt habe:
So erklären sich dann auch die überall in der Steiermark aufgeflackerten plan-
und systemlosen Aufstandsbewegungen. (…) Man hat, als die Radio- Meldung
von der Übernahme der Regierung durch Rintelen bekannt wurde, sofort losgeschlagen,
ohne sich darum zu kümmern, was anderwärts geschah. Die Kämpfe
haben schwere Verluste auf beiden Seiten zur Folge gehabt.
Zahlreiche junge Menschen seien angesichts der Übermacht der Regierungstruppen
schlichtweg verheizt worden, so Drubba:
Von allen Personen, mit denen ich gesprochen habe, wird mir übereinstimmend
versichert, dass überall in der Steiermark, namentlich bei der Jugend, eine unbeschreibliche
Begeisterung geherrscht hat, als es hiess, man werde losschlagen. Es
913 StLA ZGS (BKA) K.89/16 (Fol.889). Der Flugzettel, der in der Nacht vom 26. zum 27. Juli verbreitet
wurde, stammte, laut Drubba, tatsächlich von der Gauleitung: Volksgenossen! Dollfuß ist erledigt.
Graz ist von Militär bereits entblößt, Soldaten weigern sich auf uns zu schießen. Ganz Obersteiermark
(Ennstal, Murtal und Leoben) ist in unser Hand. Straßer Garnison geht mit uns. Kärnten ist
vollkommen nationalsozialistisch, alle Dienststellen von Nazis besetzt. Tirol, Salzburg, Oberösterreich
melden rasches Vordringen der SA. In Niederösterreich marschieren die Bauern. Wiener-Neustadt
Nazi-Hochburg. Glaubt nicht den Radiomeldungen, denkt an die Lügen in Februar. Bereitsein
zum Losgehen in Graz. Gauleitung Steiermark.
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