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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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St. Lorenzen fragte das bürgerliche „Obersteirerblatt“ in einem Leitartikel, ob die<br />

tragischen Ereignisse wirklich die ersten Anzeichen eines Bürgerkrieges seien, wie<br />

seitens der ausländischen Presse mit großer Sorge befürchtet werde. Angesichts der<br />

herrschenden Aufmärsche, Aufrüstung <strong>und</strong> Aufläufe könne man tatsächlich den<br />

Eindruck gewinnen, Österreich befinde sich mitten in einer Mobilisierung. Der<br />

Bürgerkrieg, so der Redakteur, sei jedoch ein von der Sozialdemokratie gerne strapazierter<br />

Begriff, um das Bürgertum einzuschüchtern: Eine geradezu lächerliche<br />

Vorstellung angesichts der Stärke der Heimwehr. Heute, befand er, gehe es vielmehr<br />

um einen erbitterten Kampf zwischen der Heimwehr <strong>und</strong> dem Marxismus um die<br />

neue Verfassung. Ohne eine gr<strong>und</strong>legende Reform, die dem hierzulande praktizierten<br />

Parlamentarismus der Parteigesinnungen Einhalt gebiete, so sein Resümee,<br />

werde es keine wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Besserung in Österreich geben. Zu<br />

diesem Zeitpunkt konnte der Redakteur nicht wissen, dass Österreich nicht nur<br />

nicht wirtschaftlich ges<strong>und</strong>en, sondern bald an den Auswirkungen einer durch den<br />

New Yorker Börsenkrach ausgelöste Wirtschaftskrise laborieren würde. Auch die<br />

gewünschte „politische Besserung“ konnte durch die von der Heimwehr einseitig<br />

geforderten diktatorischen Bestrebungen niemals hergestellt werden. Der „Kampf“<br />

um die Verfassung war tatsächlich ein Kampf um die „Macht im Staate“, ein Irrweg,<br />

der jenen als „lächerliche“ Vorstellung apostrophierten Bürgerkrieg gefährlich näher<br />

rücken ließ. 639<br />

5.1.5.9 Das Nachbeben in <strong>und</strong> um Kapfenberg<br />

Kurze Zeit später, am Sonntag den 15. September, ereigneten sich gleich zwei Zusammenstöße<br />

zwischen Arbeitern verschiedener „Anschauungen“, die blutig endeten. Ein<br />

Vorfall in Deuchendorf bei Kapfenberg zwischen Angehörigen des Schutzb<strong>und</strong>es <strong>und</strong><br />

des Heimatschutzes begann, wie so oft, mit gegenseitigen Sticheleien <strong>und</strong> Anrempelungen.<br />

Eine Gruppe von Heimatschützlern, die beim Betreten eines Wirtshauses<br />

die dort anwesenden Schutzbündler provokant mit „Heil“ grüßten, bekam mit<br />

„Fre<strong>und</strong>schaft“ prompt die Retourkutsche. Dabei wurde der Schutzbündler Josef W.<br />

von einem der Heimatschützler angegriffen. Ein Konflikt schien vorprogrammiert:<br />

Aus einem nichtigen Anlass resultierte kurze Zeit später eine wüste Schlägerei. Laut<br />

der Gastwirtstochter Sofie N. wurden die vier Mitglieder des Heimatschutzes, die<br />

sich in ein Extrazimmer gesetzt hatten, von einem Angehörigen des Schutzb<strong>und</strong>es<br />

im Zusammenhang mit dem Vorfall angesprochen <strong>und</strong> zurechtgewiesen. Auf die<br />

Aufforderung des Schutzbündlers, der Heimatschutz habe zu schweigen, fuhr ihn der<br />

Angesprochene wutentbrannt an: Wir werden nicht schweigen. Früher patscht es! 640 Im<br />

Handumdrehen entstand eine Rauferei zwischen den Kontrahenten, in welche sich<br />

auch die drei anderen Schutzbündler, die mittlerweile zum Tisch der Heimatschützler<br />

639 Bürgerkrieg. In: Obersteirerblatt (28.08.1929) S. 1.<br />

640 Ausspruch eines „Heimatschützlers“ anlässlich einer Konfrontation mit einem „Schutzbündler“ in<br />

Deuchendorf bei Kapfenberg am 15. Sept.1929 (StLA ZGS (BKA) K.76/3 Fol.496).<br />

199

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