11.09.2012 Aufrufe

Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

5. Die Radikalisierung des<br />

politischen Klimas in der<br />

obersteirischen Industrieregion<br />

Wie bereits im einleitenden Kapitel dargelegt, hatte die Eskalation der <strong>Gewalt</strong> in jener<br />

unruhigen Zeit nicht nur politische, sondern vor allem in die Vergangenheit zurückreichende<br />

gesellschaftliche Ursachen. Hinzu kommen noch andere von Soziologen<br />

<strong>und</strong> Historikern vermutete Beweggründe wie subjektiv empf<strong>und</strong>ene Benachteiligung,<br />

Hass, Neid <strong>und</strong> Existenzangst. 577 Als die Demokratie in Österreich noch in<br />

den Kinderschuhen steckte <strong>und</strong> zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, riefen<br />

Extremisten nach radikalen politischen Lösungen. Bei aller Gegensätzlichkeit von<br />

totalitären Ideologien wie dem Nationalsozialismus <strong>und</strong> dem Kommunismus kann<br />

das dualistische Prinzip als verbindendes Merkmal geortet werden. Nicht nur das<br />

Fre<strong>und</strong>-Feind-Schema, sondern auch das Entweder-Oder bestimmten die Auseinandersetzungen<br />

jener Tage, sei es im Ringen um die ausschließliche ideologische<br />

Wahrheit, die man jeweils für sich beanspruchte, oder im Kampf gegen das korrupte<br />

„System“/den Bolschewismus/den Kapitalismus/den Imperialismus, den man, wenn<br />

notwendig, „bis zum letzten Blutstropfen“ auszufechten bereit war. 578 Zum totalitären<br />

Sprachgebrauch gehörte auch die Beschwörung des Allheilmittels der jeweils eigenen<br />

Herrschaft. Andersdenkende hätten sich dieser entweder zu unterwerfen oder würden<br />

vernichtet. In simplen Erklärungsmustern mutierten der Staat <strong>und</strong> das Staatsvolk<br />

zu einem kranken Organismus, der von einem beispielsweise als „Krebsgeschwür“<br />

bezeichneten Missstand oder von unerwünschten „Parasiten“ radikal befreit werden<br />

müsste. Wer Hass sät, erntet bekanntlich <strong>Gewalt</strong>, <strong>und</strong> die Unversöhnlichkeit der<br />

weltanschaulichen Gegner wurde nicht nur durch <strong>Gewalt</strong>propaganda in Wort <strong>und</strong><br />

Schrift genährt, sondern buchstäblich nach Art eines Existenzkampfes in einem<br />

circulosus vitiosus gesteigert. Die gr<strong>und</strong>sätzliche Frage, mit welchen Mitteln denn<br />

die Demokratie vor antidemokratischen Mächten verteidigt werden könne, stellt sich<br />

hier nicht. 579 Mit der Unterstützung Mussolinis vermeinte Dollfuß demokratische<br />

Strukturen schrittweise eliminieren zu müssen, um Österreich als Staat zu erhalten.<br />

Mit seiner Entscheidung den Nationalrat im März 1933 auszuschalten <strong>und</strong> autoritär<br />

weiterzuregieren, goss Dollfuß jedenfalls zusätzliches Öl ins innenpolitische Feuer.<br />

Hitlers auf legalem Weg erfolgte Machtergreifung in Deutschland mag ihn maßgeb-<br />

577 Gerhard Botz, <strong>Gewalt</strong> in der Politik. Attentate, Zusammenstösse, Putschversuche, Unruhen in<br />

Österreich 1918 bis 1934 (München 1976), Kurzzitat: Botz, <strong>Gewalt</strong>, S. 13–23.<br />

578 Erich Strassner, Ideologie – Sprache – Politik. Gr<strong>und</strong>fragen ihres Zusammenhangs (Tübingen<br />

1987) S. 42–48.<br />

579 Vgl. Horst Möller, Gefährdungen der Demokratie. Aktuelle Probleme in historischer Sicht. In:<br />

Viertelsjahrshefte für Zeitgeschichte 55 Jg. (2007) 379–392.<br />

179

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!