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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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der Koalition führte zu einer Spaltung der Sozialdemokraten in Anhänger <strong>und</strong> Gegner<br />

des Koalitionskurses. Das war die Ursache jener schweren innerparteilichen<br />

Auseinandersetzungen, die nach dem Justizpalastbrand im Juli 1927 <strong>und</strong> besonders<br />

ab März 1933 lähmend wirkten, als es galt, die Parteianhänger <strong>und</strong> den Schutzb<strong>und</strong><br />

gegen die Demontage der demokratischen Einrichtungen durch die Regierung<br />

Dollfuß zu mobilisieren. 58 Nach dem Bruch mit den Sozialdemokraten bildete die<br />

Christlichsoziale Partei Regierungsmehrheiten mit Hilfe der anderen bürgerlichen<br />

Parteien, lange Zeit mit den Großdeutschen, später mit dem Landb<strong>und</strong>. Als diese<br />

Mehrheit brüchig zu werden begann <strong>und</strong> das Angebot seitens der Christlichsozialen<br />

zur Zusammenarbeit von den Sozialdemokraten zurückgewiesen wurde, wandten sie<br />

sich an jene politischen Kräfte, die durch ihre antidemokratischen <strong>und</strong> staatsfeindlichen<br />

Tendenzen den weiteren Verlauf der Innenpolitik gravierend beeinflussten. 59<br />

Ein erster Blick auf die politische <strong>und</strong> wirtschaftliche Situation Österreichs nach<br />

dem Ende des Ersten Weltkrieges zeigt, dass zwei wesentliche Faktoren für seine weitere<br />

Entwicklung bestimmend waren. Erstens war das Land durch den materiellen<br />

<strong>und</strong> menschlichen Verschleiß des Krieges schwer geschädigt worden <strong>und</strong> befand sich,<br />

zumal in den südlichen Grenzregionen, in einem Zustand extremer Unsicherheit, der<br />

nicht einmal durch die definitive Festsetzung der staatlichen Grenzen im Friedensvertrag<br />

von St. Germain beseitigt werden konnte. Wie prekär die Lage an Österreichs<br />

Grenzen nach der Ratifizierung des Vertrages am 17. Oktober 1919 noch immer war,<br />

illustrieren die Vorkommnisse in Kärnten sowie die Abtretung des Burgenlandes an<br />

Österreich, die auf den erbitterten Widerstand Ungarns stieß <strong>und</strong> erst mit großer<br />

Verspätung im November 1921 erfolgte. Im Jahr 1919 wurde die Krisenstimmung<br />

im Land durch zwei kommunistische Putschversuche in Wien sowie schwere Ausschreitungen<br />

in Graz, die blutig niedergeschlagen wurden, zusätzlich angefacht. 60 Das<br />

Nachkriegselend in den Ballungszentren – Hunger, Kälte, Krankheiten wie Tuberkulose<br />

<strong>und</strong> Grippe, die erhöhte Säuglingssterblichkeit – wurde durch den Zuzug<br />

Zehntausender Flüchtlinge weiter verschärft. Zweitens hatte der Zusammenbruch der<br />

Doppelmonarchie zur Abtrennung Österreichs von seinem einstigen wirtschaftlichen<br />

Großraum geführt. Ohne auf die kontroverse Frage der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit<br />

des Staates detailliert einzugehen, soll an dieser Stelle lediglich auf die Wirkung<br />

dieses Bruches hingewiesen werden, die viele Politiker <strong>und</strong> Wirtschaftsexperten zu<br />

meist pessimistischen Zukunftsprognosen, wenn auch aus taktischen Gründen den<br />

Siegermächten gegenüber, veranlassten. In einer neueren empirischen Studie wurde<br />

die konkrete marktwirtschaftliche Situation Österreichs in der Zwischenkriegszeit<br />

anhand einer Reihe namhafter Industrieunternehmen untersucht. Datenmaterial <strong>und</strong><br />

58 Berchtold, Parteiprogramme, S. 33–36. Maßgeblich: Anson Rabinbach, Vom Roten Wien zum<br />

Bürgerkrieg (=Sozialistische Bibliothek Abt. 1: Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie<br />

2, Wien 1989).<br />

59 Gr<strong>und</strong>sätzliches zum Thema Parlamentarismus bei: Dieter A. Binder, Parlamentarismus zwischen<br />

Lagerpatriotismus <strong>und</strong> Lösungskompetenz. Österreich 1920–1933. In: Ernst Bruckmüller<br />

(Hrsg.), Parlamentarismus in Österreich (=Schriften des Instituts für Österreichk<strong>und</strong>e 64, Wien<br />

2001) 130–144.<br />

60 Goldinger/Binder, Österreich, S. 31–37.

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