Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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1919 stellten sich die Leobener „Nationalen-Sozialisten“ als Vertreter der „deutschgesinnten<br />
Arbeitnehmer, der Festbesoldeten <strong>und</strong> der kleinen Leute unseres Volkes“<br />
vor <strong>und</strong> sahen ihre Tätigkeit hauptsächlich in der Durchsetzung einer „kräftigen<br />
Vertretung der wirtschaftlichen Belange dieser Stände“, ohne dabei deren politische<br />
Interessen zu vernachlässigen, „die voneinander nicht zu trennen sind“. Unter<br />
den 15 Kandidaten [12 Männer <strong>und</strong> 3 Frauen, Anm.] der ersten St<strong>und</strong>e scheint<br />
auch der Eisenbahner [„Südbahnadjunkt“, Anm.] Karl Cerha auf, der im November<br />
1918 zu einem der zwei Schriftführer im Leobener Bezirkswohlfahrtsausschuss 494<br />
bestimmt wurde, fortan als Gemeinderat eine aktive kommunalpolitische Rolle<br />
spielte <strong>und</strong> 1932 Vizebürgermeister der Stadt Leoben wurde. Dabei fällt auf, dass<br />
weder Arbeiter noch Arbeiterinnen, sondern ausschließlich öffentliche <strong>und</strong> private<br />
Bedienstete sowie Gewerbetreibende unter den Wahlwerbern zu finden sind. 495 Die<br />
Leobener Nationalsozialisten gewannen 352 Stimmen <strong>und</strong> zwei Mandate, die an<br />
Karl Cerha <strong>und</strong> den Gewerbeinspektor Ing. Stefan Zdeborsky vergeben wurden. 496<br />
Bei den Gemeinderatswahlen im Mai 1924 meldete das Parteiblatt „Sturmfahne“,<br />
der nationale Sozialismus habe in der grünen Steiermark mit ungefähr 12.000 für<br />
die Partei abgegebenen Stimmen „seinen ersten Triumph“ gefeiert. In 31 von den 37<br />
beworbenen steirischen Gemeinden wurden 56 Mandate an nationalsozialistische<br />
Kandidaten vergeben. In der obersteirischen Industrieregion zogen nationale Sozialisten<br />
in die Gemeindestuben folgender Orte ein: Leoben (4); Donawitz <strong>und</strong> Eisenerz<br />
(je 1); Trofaiach (3); Mautern (2); St. Michael (2); Bruck an der Mur (3); Kapfenberg<br />
(4); Mürzzuschlag (2); Veitsch (1); Judenburg (3); Fohnsdorf (1); Knittelfeld 3 <strong>und</strong><br />
Rannach bei Knittelfeld (1). In Leoben konnten die Nationalsozialisten nicht nur<br />
ihren Stimmenanteil (773) gegenüber 1919 mehr als verdoppeln, sondern auch ihren<br />
Mitgliederstand gegenüber 1922 verdreifachen. 497 Dementsprechend euphorisch fiel<br />
das Fazit des Blattes aus:<br />
Es wirkt für die Idee des nationalen Sozialismus verheißungsvoll, wenn man<br />
wahrnimmt, daß gerade in den größten Industrieorten Steiermarks sich eine<br />
starke Wandlung zeigt, die sich in dem Übergang der Arbeiterschaft vom Marxismus<br />
zum nationalen Sozialismus auswirkt; in diesen Orten haben die Sozialisten<br />
ihre größten Verluste, die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei<br />
Gerichtsbezirk Leoben mit immerhin 2386 Stimmen nur 12 Stimmen weniger als der Schoberblock.<br />
494 Gründung eines Wohlfahrtsausschusses für den Bezirk Leoben. In: Obersteirische Volkszeitung<br />
(13.11.1918) S. 3–4.<br />
495 Die National-Sozialisten <strong>und</strong> die Gemeindewahlen. In: Obersteirische Volkszeitung (16.7.1919)<br />
S. 5.<br />
496 Die Gemeindewahlen in Leoben. In: Obersteirische Volkszeitung (30.7.1919) S. 2; Josef Freudenthaler,<br />
„Eisen auf immerdar!“ Geschichte der Stadt <strong>und</strong> des Bezirkes Leoben Bd.2 (Leoben<br />
1938), Kurzzitat: Freudenthaler, „Eisen auf immerdar!“ Bd.2, S. 11: Freudenthaler gibt Ing. Stefan<br />
Folkhard oder Folkhart als zweiten Mandatar an. Folkhard scheint überhaupt nicht auf der<br />
veröffentlichten Liste der Wahlwerbenden auf, sondern Ing. Stefan Zdeborsky ist an zweiter Stelle<br />
gereiht (siehe: Obersteirische Volkszeitung (16.7.1919) S. 5. Möglicherweise ließ Zdeborsky seinen<br />
Namen später germanisieren.<br />
497 Angegeben in der Rubrik „Ortsgruppennachrichten“. In: Die Sturmfahne (7.2.1924) S. 4.<br />
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