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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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kommunistischen Kreisen am größten. 774 Anlässlich des Kanzlerbesuches bei der<br />

K<strong>und</strong>gebung des Katholischen Bauernb<strong>und</strong>es am 15. April in Graz <strong>und</strong> zu „Führers<br />

Geburtstag“ am 20. des Monats erreichte die Agitation, trotz des Dauereinsatzes der<br />

Exekutivkräfte, einen weiteren Rekordwert. Die von der Behörde beklagte Eskalation<br />

des gewaltsamen Terrors im Juni scheint in der Tabelle nicht auf. Der niedrige<br />

Prozentsatz der Festnahmen in den Monaten Juli <strong>und</strong> August im gesamtsteirischen<br />

Vergleich ist umso aussagekräftiger, als viele männliche Nationalsozialisten, aber wie<br />

das Beispiel der Wirtin Maria B. aus Trofaiach zeigt, dass auch einige Frauen nach<br />

dem Zusammenbruch des Putsches ins benachbarte Ausland geflohen sein dürften. 775<br />

Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt betrachtet, bedarf es keiner allzu großen<br />

Vorstellungskraft, um sich die Dimension des Schadens an öffentlichem <strong>und</strong> privatem<br />

Eigentum auszumalen. Nach den Berechnungen des steirischen Sicherheitsdirektors<br />

Zelburg belief sich die Schadenssumme in der Steiermark, die sich aus den<br />

Kosten für die Behebung von „Terrorschäden“ sowie für „Sicherheitsmaßnahmen“<br />

bis einschließlich September 1934 errechnete, auf r<strong>und</strong> 650.000 Schilling. 776 Ein<br />

ungefährer Vergleichswert: Für einen Schilling bekam man im Jahr 1931 etwa zweieinhalb<br />

Liter Frischmilch auf dem Markt; der heutige Preis, der in der Relation zum<br />

Produktionsaufwand seit vielen Jahren durch Agrarsubventionen auf vergleichsweise<br />

niedrigem Niveau gehalten wird, beträgt für dieselbe Menge Milch im Handel r<strong>und</strong><br />

zwei Euro. Die Schadenssumme beliefe sich demnach auf etwa € 1,300.000. Es ist<br />

jedoch fraglich, ob eine halbwegs realistische Umrechnung auf der Basis eines beliebigen<br />

Gr<strong>und</strong>nahrungsmittels erreicht werden kann, weil die damaligen Lebensmittelpreise<br />

im Vergleich zum Familieneinkommen relativ hoch waren. 777<br />

Nicht nur dem Staat, sondern auch privaten Eigentümern erwuchsen erhebliche<br />

Kosten durch Terror- <strong>und</strong> Propagandaschäden. Die Geschädigten hatten zwar<br />

keinen juristischen Anspruch auf Kostenersatz, doch konnten sie auf eine Teilentschädigung<br />

durch die von der Regierung am 12. Jänner 1934 erlassene Verordnung<br />

774 StLA ZGS (BKA) K.86/13 (Fol.99; 110–118): Anlässlich des von Dollfuß ausgerufenen „Tages der<br />

Jugend“ wurden bspw. Flugzettel der Sozialistischen Jugend gestreut, die sich voller „Haß <strong>und</strong> Verachtung“<br />

gegen den „Bluth<strong>und</strong> der Februartage“ wandten. Laut Behördenbericht überlegte man<br />

sogar die Exhumierung <strong>und</strong> „anderweitige Bestattung“ von Wallisch, um künftige K<strong>und</strong>gebungen<br />

„unbelehrbarer Marxisten“ zu verhindern. Nach seinem Tod lebte Wallisch als politischer „Märtyrer“<br />

in den Herzen seiner Anhängerschaft fort. Er wurde zum Symbol für den Widerstand gegen<br />

das herrschende Regime. Menschen, die sein Grab heimlich mit Frühlingsblumen schmückten,<br />

wurden im Amtsjargon folglich als „Täter“ bezeichnet.<br />

775 StLA BH Leoben Gr.14: K.77 (1934): Die Wirtin Maria B. wurde wegen Hochverrates angezeigt,<br />

weil sie den Putschisten ihr Lokal während des Aufstandes zur Verfügung gestellt <strong>und</strong> für deren<br />

Verpflegung gesorgt hatte. Im Nachhinein wurde ein Waffenlager in einem versperrten Herrenklosett<br />

entdeckt.<br />

776 StLA ZGS (BKA) K.88/15 (Fol.12–15).<br />

777 Nimmt man ein Mindesteinkommen als Berechnungsbasis, vervielfacht sich der reelle Wert dieses<br />

Betrages. Laut einer Statistik der Wiener Kammer für Arbeiter <strong>und</strong> Angestellte betrug im Jahr<br />

1934 das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Arbeitslosenhaushaltes S 1.631,–, das sind nur<br />

etwa 135 Schilling, also laut der Milchrechnung umgerechnet €270,– monatlich: Wilding, Arbeit<br />

<strong>und</strong> Brot, S. 151.<br />

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