Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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lenkt, wie sie in kleinräumigen Territorialeinheiten, etwa in einer Region, Bedeutung<br />
erlangen können.<br />
1.5.1 Formierung der „Lagermentalität“<br />
Der Begriff des politischen Lagers, wie er in der Berichterstattung der Zwischenkriegszeit<br />
bereits auftaucht, fällt in dieses milieuorientierte Erklärungsmodell hinein.<br />
Politische Lager definieren sich durch Abgrenzungen gegenüber anderen. Durch die<br />
Dominanz des sozialen Handelns <strong>und</strong> damit eine jeweils spezielle Kultur konstituierenden<br />
wertmäßigen Besetzungen entstehen Lager, die durchaus verschiedene<br />
Milieus zu integrieren vermögen. 35 In seiner 1954 erschienenen wegweisenden Studie<br />
über die österreichische Parteienlandschaft der Ersten Republik gebraucht Adam<br />
Wandruszka den aus dem militärischen Sprachgebrauch stammenden Begriff als<br />
einen umfassenden Ausdruck für Bewegungen, Parteien <strong>und</strong> Gruppen. Er erklärt<br />
seine Wortwahl einleitend mit dem Hinweis auf die Parteienlandschaft der Ersten<br />
Republik, die drei scheinbar fest umrissene <strong>und</strong> <strong>und</strong>urchdringliche soziopolitische<br />
Segmente aufwies. Die Geschichte der durch Symbolik abgegrenzten <strong>und</strong> mit Partei-<br />
<strong>und</strong> Vereinsorganisationen ausgebauten Lager reiche nicht nur in dieselbe Zeit,<br />
die achtziger Jahre des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, zurück, sondern ihre geistigen Wurzeln<br />
seien auf denselben ursprünglichen Gründervater zurückzuführen, auf den jungen<br />
Georg von Schönerer, so Wandruszka. 36 Die Formierung der Lager erfolgte im unterschiedlichen<br />
Ausmaß quer zu den sich konstituierenden Klassen, denn wenngleich<br />
sich die Arbeiter- <strong>und</strong> Bauernschaft überwiegend in der Sozialdemokratie beziehungsweise<br />
in der Christlichsozialen Partei organisierten, ergaben sich trotzdem<br />
regionale Unterschiede in ihrer jeweiligen Integrationsfähigkeit. 37 Doch es waren<br />
nicht so sehr die klassenmäßigen Gegensätze, die während der Formierung der<br />
Lager für politische Konfrontationen sorgten, sondern deren „sakrale“ Aufladung.<br />
Diese wertmäßige Überfrachtung der Lager symbolisierte nicht nur Zugehörigkeit<br />
zu einer spezifischen Gruppe auf Gr<strong>und</strong> eines politischen Bekenntnisses, sondern im<br />
Bewusstsein die politische Wahrheit für sich allein gepachtet zu haben, vielmehr die<br />
Aura einer kollektiven Identität. Verstärkt wurde das Gefühl der Lagerzugehörigkeit<br />
tisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg 12, Wien/Köln/Weimar<br />
2001), Kurzzitat: Kriechbaumer, Politische Kultur, S. 20–21.<br />
35 Karl Rohe, Wahlen <strong>und</strong> Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Gr<strong>und</strong>lagen deutscher<br />
Parteien <strong>und</strong> Parteiensysteme im 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert (Frankfurt am Main 1992) S. 21 zitiert<br />
bei Kriechbaumer, Politische Kultur, S. 22.<br />
36 Adam Wandruszka, Österreichs Politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien <strong>und</strong> politischen<br />
Bewegungen. In: Heinrich Benedikt (Hrsg.), Geschichte der Republik Österreich (Wien<br />
1954) S. 289.<br />
37 Beispielsweise seien beachtliche Teile der steirischen <strong>und</strong> kärntnerischen Bauernschaft erwähnt,<br />
die dem christlichsozialen Lager nicht angehörten, sowie ein Großteil der Vorarlberger Arbeiterschaft,<br />
die nicht in der Sozialdemokratie organisiert war. Das je nach ökonomischer Situation,<br />
Religionsbekenntnis, Beruf oder Wohnort differenzierte Bürgertum suchte sich einerseits von der<br />
Aristokratie, andererseits von der sich formierenden Arbeiterklasse abzugrenzen.<br />
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