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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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116<br />

provisorischen Landesversammlung den Beitritt des „Landes Steiermark“ als einer<br />

eigenberechtigten Provinz zu dem neuen Staat Deutschösterreich, der als oberste<br />

<strong>Gewalt</strong> anerkannt wurde. Ebenso wurde die neue Landesverfassung verabschiedet<br />

<strong>und</strong> eine Landesregierung gewählt, der aus je einem Vertreter der drei großen Parteien<br />

gebildet wurde: der Deutschnationalen, der Christlichsozialen <strong>und</strong> der Sozialdemokraten.<br />

Zum Landeshauptmann wurde Dr. Wilhelm von Kaan (deutschnational),<br />

zu dessen Stellvertretern Dr. Anton Rintelen (christlichsozial) <strong>und</strong> Josef<br />

Pongratz (sozialdemokratisch) bestellt. Der provisorische Landtag bestand aus 60<br />

Abgeordneten, aus je 20 der eben genannten Parteien, der einen Landesausschuss,<br />

bestehend aus 12 Abgeordneten (4 je Partei), wählte. Nach der Sitzung wählten die<br />

Abgeordneten des CS-Klubs Anton Rintelen zum Obmann <strong>und</strong> Dr. Jakob Ahrer<br />

zum Schriftführer. 327<br />

Knapp einen Monat später, am 5. Dezember 1918, veröffentlichte die Landesparteileitung<br />

der steirischen Christlichsozialen ihr Wahlprogramm, das nicht nur<br />

außen- <strong>und</strong> innenpolitische Leitlinien definierte, sondern auch wirtschaftliche, soziale<br />

<strong>und</strong> kulturpolitische Forderungen enthielt. Die Partei erklärte „die Gr<strong>und</strong>sätze<br />

des Christentums“ zum Leitstern bei der Erkämpfung „eines neuen glücklichen<br />

Vaterlandes“, sowie ihre Entschlossenheit, mit allen anderen Parteien zusammen<br />

zu arbeiten, um eine „friedliche Entwicklung (…) der jungen Republik Deutschösterreich<br />

(…) zu ermöglichen“. Im Zentrum des frühen Programms stand das volle<br />

Bekenntnis zum freien demokratischen Staat, zum Privateigentum als Basis der<br />

Selbstverantwortung, jedoch zur Enteignung des „volkswirtschaftlichschädlichen<br />

Großgr<strong>und</strong>besitzes“ <strong>und</strong> zu dessen Verteilung an „strebsame landwirtschaftliche<br />

Dienstboten“ sowie an andere gemeinnützige Projekte. Als deutsche Partei erklärten<br />

sich die Christlichsozialen solidarisch mit den Forderungen jener Volksgenossen,<br />

„die unter fremder Herrschaft schmachten“; als selbst deklarierte antisemitische<br />

Partei wollte sie den „Anteil der Juden am öffentlichen Leben“ gemäß „dem Prozentsatze<br />

ihrer Bevölkerungsanzahl“ anpassen. Kulturpolitische Forderungen, wie die<br />

Religionsfreiheit für alle Konfessionen, Wahrung der Rechte der religiösen Gemeinschaften,<br />

die religiös-sittliche Erziehung in der Schule <strong>und</strong> Schutz der Familie <strong>und</strong><br />

der Ehe fanden bloß in einem kurzen Absatz Erwähnung. 328<br />

Der angekündigte Frieden währte jedoch nicht lange. Im Hinblick auf die kommenden<br />

Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung im Februar 1919<br />

klangen bereits Ende November 1918 jene kulturkämpferischen Töne an, die das<br />

Verhältnis speziell zwischen den Christlichsozialen <strong>und</strong> den Sozialdemokraten in<br />

der Ersten Republik in so verhängnisvoller Weise prägen sollten. In einem Leitartikel<br />

wird die Notwendigkeit der christlichen Weltanschauung für Staat <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

dargelegt. Das Gesetz des sittlichen Handelns sei jedoch nicht als eine „technische<br />

Anleitung zur Staatskunst“, sondern als eine moralische Verpflichtung zu verstehen,<br />

die in alle Lebensbereiche, auch in das öffentliche Leben, eindringe. Nur wer die letzte<br />

327 Der neue Landtag. In: Grazer Volksblatt (7.11.1918) S. 4–5.<br />

328 Christliche deutsche Männer <strong>und</strong> Frauen des Landes Steiermark! In: Grazer Volksblatt (5.12.1918)<br />

S. 1.

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