Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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war. In mehreren Orten im Bezirk gelang es den Nationalsozialisten, die Macht ohne<br />
Blutvergießen zu übernehmen, so auch in Eisenerz. In Mautern <strong>und</strong> St. Michael<br />
hingegen kam es zu Schießereien, wobei drei Menschen starben. Spätestens in der<br />
Nacht zum 27. Juli waren die Aufstände der Nationalsozialisten, welche die obersteirische<br />
Industrieregion zwischen Judenburg <strong>und</strong> Leoben vorübergehend beherrscht<br />
hatten, niedergeschlagen. Bei Feuergefechten im Bezirk Murau, im Ennstal <strong>und</strong> am<br />
Pyhrnpass wurden zahlreiche Menschen getötet <strong>und</strong> verletzt. Viele Aufständische<br />
flüchteten ins benachbarte Ausland, andere tauchten in der Heimat eine Zeitlang<br />
unter in der Hoffnung, entweder nicht verraten zu werden oder sich durch irgendwelche<br />
Ausflüchte entlasten zu können. Den maßgeblichen Rädelsführern der obersteirischen<br />
Industrieregion, Kammerhofer, Hickl, Gregory <strong>und</strong> auch Meyszner gelang<br />
die Flucht über die Grenze nach Jugoslawien. 906 Das Ausmaß an Leid, das über viele<br />
Familien hereinbrach, lässt sich aus den folgenden Zahlen nur ansatzweise ablesen.<br />
Insgesamt hat der Juliputsch r<strong>und</strong> 250 Menschenleben in ganz Österreich, inklusive<br />
der Hingerichteten, sowie zwischen 400 <strong>und</strong> 700 Verw<strong>und</strong>ete auf beiden Seiten<br />
gekostet. 907 Allein im Bezirk Leoben verloren r<strong>und</strong> 170 Menschen das Heimatrecht.<br />
Die Geflohenen, großteils junge Männer zwischen 20 <strong>und</strong> 35 Jahren, darunter drei<br />
17-jährige <strong>und</strong> zwei 18-jährige Burschen sowie drei Frauen, wurden ausgebürgert. 908<br />
5.4.3.5 Irrungen <strong>und</strong> Wirrungen<br />
Zusammenfassend ist festzustellen, dass von einem konzertierten Vorgehen der<br />
steirischen SA-Brigaden in der Steiermark überhaupt keine Rede sein kann. Neben<br />
der Landeshauptstadt Graz waren das Mürztal, abgesehen von Mürzzuschlag, sowie<br />
weite Teile der nördlichen Ost- <strong>und</strong> Weststeiermark ruhig geblieben; die kleineren<br />
Aktionen der Putschisten in der Umgebung von Graz waren ohne große Wirkung<br />
verpufft. Laut den im Nachhinein verfassten Berichten von Hans Schön, Hugo Suette<br />
<strong>und</strong> Hans Seidler 909 waren die Standarten der Mittelsteiermark großteils mangelhaft<br />
ausgerüstet, deren Bewaffnung teilweise veraltet <strong>und</strong> durch die lange Lagerung<br />
unbrauchbar geworden. Im Gegensatz zu Kammerhofer hat Meyszner anfangs<br />
zugewartet <strong>und</strong> erst spätabends zwischen 20 Uhr <strong>und</strong> 21 Uhr den Aufstandsbefehl<br />
erteilt, der allerdings nach etwa einer St<strong>und</strong>e rückgängig gemacht wurde. Der SA-<br />
Brigadeführer soll sich überhaupt bedeckt gehalten haben <strong>und</strong> nur noch „Vereinbarungen“<br />
mit seinem Stab getroffen haben. Das Ausmaß der Verwirrung <strong>und</strong> Wut<br />
unter den Mannschaften soll entsprechend groß gewesen sein. 910 Die Niederwerfung<br />
906 Bauer, Elementarereignis, S. 223–240; 106–110.<br />
907 Bauer, Elementarereignis, 116–118.<br />
908 StLA ZGS (BKA) K.90/17 (Fol.731–751).<br />
909 Schön, der seiner geplanten Ermordung entkommen konnte, war Führer der Standarte 27 (Graz<br />
<strong>und</strong> Umgebung); Suette, Führer des Sturmbannes II/27, berichtete, dass der Brigadeführer (Meyszner),<br />
der zunächst nicht auffindbar gewesen sei, seinen Sitz „irgendwo in Gösting“ aufgeschlagen<br />
habe; Seidler war Führer des Sturmbannes III/27.<br />
910 Schafranek, Sommerfest, S. 301–320.<br />
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