11.09.2012 Aufrufe

Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

der in dieser Arbeit präsentierten Fakten erscheint es jedoch plausibel, dass das<br />

Industrieproletariat in den Ballungszentren in einen Gegensatz zu seiner mehrheitlich<br />

ländlichen Umgebung sowie dem selbstbewussten Bürgertum geriet. Auf die<br />

zentrale Rolle der ÖAMG bei dieser Entwicklung ist bereits hingewiesen worden.<br />

Auf der Suche nach den möglichen Wurzeln des sozialen Unfriedens stößt man<br />

unweigerlich auf die als Existenz bedrohend empf<strong>und</strong>enen politischen Doktrinen<br />

des jeweiligen politischen Gegners. Hierbei spielt meines Erachtens auch die Schärfe<br />

des gesprochenen <strong>und</strong> geschriebenen Wortes eine nicht unerhebliche Rolle. In der<br />

nationalsozialistischen Wochenzeitung „Der Kampf“ beispielsweise werden die politischen<br />

Gegner der NSDAP als „rote Untermenschen“ beziehungsweise als „schwarzrot-grüne<br />

Untermenschenfront“ bezeichnet. 925 Auffallend ist auch der Trend, die<br />

jeweilige politische Gemeinschaft mittels stereotyper Formulierungen <strong>und</strong> apodiktischer<br />

Erklärungen noch fester zusammenzuschweißen. Maßgeblich beteiligt an<br />

der Aufwiegelung der Menschen waren unter anderem auch die Antipoden Pfrimer<br />

<strong>und</strong> Wallisch, die zum Feind des jeweiligen anderen Lagers erklärt <strong>und</strong> entsprechend<br />

dämonisiert wurden. Während dem wegen Hochverrates angeklagten Heimatschutzführer<br />

jedoch kein Haar gekrümmt wurde, musste der Sozialdemokrat Wallisch für<br />

den gleichen Tatbestand mit dem Leben bezahlen.<br />

Eine weitere Problemstellung betrifft die zahlenmäßige Erfassung von politisch<br />

aktiven <strong>und</strong> inaktiven Menschen im weitesten Sinn. Der Vergleich der Wahlergebnisse<br />

einiger ausgesuchter Gemeinden in der Region von 1919 bis 1932 lässt einen<br />

deutlichen Rechtsruck erkennen, sagt jedoch nichts über die Folgezeit aus, vor allem<br />

nichts über ein eventuelles „Erlahmen“ des politischen Widerstandswillen <strong>und</strong> einen<br />

möglichen Rückzug in die „innere Emigration“. In den untersuchten Gemeinden<br />

kam es nicht nur zu einem starken Anwachsen der Wählerschaft rechtsgerichteter<br />

Parteien, sondern auch zu einem Stimmenzuwachs der KPÖ. Die Radikalisierung<br />

des politischen Klimas lässt sich in konkreten Zahlen auch deshalb nicht fassen, weil<br />

eine genaue quantitative Feststellung der zu extremem politischem Gedankengut<br />

neigenden Menschen letztlich nicht möglich ist. Behördenberichte können wohl Auskunft<br />

über amtsbekannte politische Aktivisten <strong>und</strong> politisch motivierte Straftaten<br />

geben, dennoch ist die Dunkelziffer der nicht gefassten Täter <strong>und</strong> Täterinnen kaum<br />

einzuschätzen. Mit den Folgen der wirtschaftlichen Rezession als alleinigem Radikalisierungsfaktor<br />

zu argumentieren, ist ebenfalls ein zweischneidiges Schwert. 926<br />

Obwohl es im Gegensatz zu Marienthal zu einer partiellen Radikalisierung der<br />

Arbeitslosen im Leobener Industriegebiet kommt, könnte Langzeitarbeitslosigkeit<br />

mit Folgeerscheinungen wie Hunger <strong>und</strong> Obdachlosigkeit zu einer allfälligen<br />

925 StLA ZGS K.221 (Mappe 1932): Gemeiner Überfall auf einen S. A.-Mann. In: Der Kampf (3.12.1932)<br />

S. 3.<br />

926 Untersuchungen zeigen, dass gefestigte Demokratien wie Großbritannien <strong>und</strong> Frankreich, welche<br />

von den wirtschaftlichen Krisen der Zwischenkriegszeit auch nicht verschont blieben, weit widerstandsfähiger<br />

gegen radikale Tendenzen waren als Deutschland oder Österreich. Siehe dazu:<br />

Andrew Thorpe (Ed.), The Failure of Political Extremism in Inter-war Britain (=Exeter Studies in<br />

History, Exeter 1989); Andreas Wirsching, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Politischer Extremismus<br />

in Deutschland <strong>und</strong> Frankreich 1918–1933/1939. Berlin <strong>und</strong> Paris im Vergleich (=Quellen<br />

<strong>und</strong> Darstellungen zur Zeitgeschichte 40, München 1999).<br />

287

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!